Rezension zu »Der König« von Jo Nesbø

Der König

von


Wer hat das Sagen im Dorfe Os, wer kann seine Projekte durchboxen? Die zwei Brüder Roy und Carl Opgard bekämpfen ihre Gegner und am Ende einander.
Kriminalroman · Ullstein · · 432 S. · ISBN 9783550201561
Sprache: de · Herkunft: no

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch CD

Nur einer kann König sein

Rezension vom 18.01.2025 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Jo Nesbøs aktueller Krimi-Bestseller »Der König« (Originaltitel: »Kongen av Os«, übersetzt von Günther Frauenlob) hat eine Vorge­schichte. 2020 erschien im Ullstein-Verlag »Ihr König­reich« [› Rezension]. Da ging es um die Brüder Roy und Carl Opgard, die auf dem elter­lichen Hof im un­schein­baren Dorf Os auf­wuchsen. Nachdem Carl vom Vater miss­braucht wurde, sinnt Roy (schon immer der Be­schüt­zer des kleinen Bruders) auf Rache. Er mani­puliert das Auto des Vaters, und beide Eltern sterben bei einem Unfall.

Im aktuellen Roman herrschen ganz andere Verhält­nisse auf dem Hof. Wie wir nach und nach in Rück­blenden erfahren, hat Carl in den USA studiert, dort die glamou­röse Shannon gehei­ratet und ist dann mit ihr in die norwe­gische Provinz zurück­gekehrt. Gemeinsam haben die drei aus dem Hof ein gut­gehen­des Hotel gemacht und sich auch eine aner­kannte Position in der kleinen Dorf­gemein­schaft errungen.

Doch inzwischen kriselt es im Verhältnis der beiden Brüder zuein­ander. Roy, der eigent­lich zurück­haltende Ich-Erzähler, hat Ambi­tionen, die weit mehr umfassen als nur das Hotel. Er möchte das Dorf Os samt seiner schönen Umgebung zu einer attrak­tiven Touris­mus­region umge­stalten. Dazu soll nach seinen Vorstel­lungen nicht nur ein moderner Hotel­komplex gehören, sondern auch ein Riesenrad in Super­dimen­sionen.

Aber sein Vorhaben kolli­diert mit dem, was anderen für die Region vor­schwebt. Es gibt Pläne, die den Natur­schutz favori­sieren und dafür vorsehen, einen Straßen­tunnel zu errichten und die Natio­nal­straße um Os herum­zu­führen. Das aber würde für die Brüder bedeuten, dass all ihre bishe­rigen finan­ziellen Investi­tionen in den Sand gesetzt wären und die zukünf­tigen keine Chance auf Erfolg hätten.

Unter dem Druck solcher Aussichten bekommt die Fassade des unzer­trenn­lichen, ver­schwo­renen Ge­brüder­paares Risse. Zwar verfolgen sie ihre Projekte stets gemeinsam und ohne Skrupel, aber intern stößt die Loyalität an Grenzen. Die Ver­brechen der Ver­gangen­heit lasten auf ihren Seelen, und weitere werden nicht zu vermeiden sein. Denn eine Krise folgt der nächsten, und jede einzelne ruft für ihre Behebung nach Manipu­lation, Beste­chung, Betrug und Fäl­schun­gen. Wenn es hart auf hart kommt, muss eine Lösung auch mal mit Gewalt herbei­geführt werden.

So eskaliert Nesbø hübsch geruhsam den Kampf der Brüder um die Vor­herr­schaft im »König­reich«, an dessen Ende nur einer den Posten des »Königs« von Os besetzen kann.

Nicht erst in der kritischen Rück­schau, sondern schon beim Lesen haben mich Zweifel an der Qualität dieses Romans über­kommen. Ver­brechen und Grau­sam­keiten, wie man sie im Genre des skan­dinavi­schen Thrillers erwarten darf, finden sich zwar zuhauf, aber es hapert bei der Stimmig­keit, der Atmos­phäre und dem Gesell­schafts­bild.

Einsame kleine Orte weitab der Zivili­sation haben in skan­dinavi­scher Literatur oft genug ihr viel­fälti­ges Potenzial aus­spielen können, aber Os, im Norden Norwegens ange­siedelt, bleibt hinter den Erwar­tungen zurück. Die einfachen Menschen, die hier mit alltäg­lichen Problemen leben, sind sich unter­ein­ander alle nicht grün, und keiner kann unsere Sympathie erwecken. Die Cha­rak­ter­zeich­nung bleibt zu flach, und Nesbø muss kräftig kon­struie­ren, damit wir überhaupt so etwas wie Emotionen ent­wickeln und Anteil nehmen. Schon der Plot um den Ausbau des Dorfes zu einem über­dimen­sio­nier­ten Tou­risten­mag­neten kann nicht recht über­zeugen – er passt weder in die Land­schaft noch zu den Menschen dort. Viel­leicht wollte Nesbø seinen wie gewohnt ange­legten Thriller dieses Mal mit einem Ausflug in das Genre Wirt­schafts- oder Polit­krimi berei­chern, doch der wirkt wie ein Fremd­körper.

Dass Jo Nesbø spannende Unter­haltung schreiben kann, muss er nicht mehr beweisen – und natürlich halten uns auch in diesem Buch nicht wenige Szenen für eine Weile in Atem. So ent­wickelt sich der primäre Hand­lungs­faden um die Vor­herr­schaft recht komplex weiter – wobei Roy, der ge­schick­te Mecha­niker, die Fäden nicht aus der Hand gibt und immer wieder gerne auf be­währte Methoden und Werk­zeuge zurück­greift.

Aber auf weiten Strecken geht einem nicht unter die Haut, was erzählt wird, und das liegt vor allem an unzu­rei­chen­der Authen­tizität und fehlen­dem Herzblut. Der Autor schiebt seine Figuren auf dem Spielfeld hin und her wie ein Schach­spieler: metho­disch und strate­gisch, um maxi­malen Effekt zu erzielen, und das ist legitim. Doch hier geht ihre Seele verloren, und wir nehmen keinen Anteil an ihrem Schicksal. So schreibt künst­liche Intelli­genz: Aus ihrem unend­lichen Fundus kompi­liert sie blitz­schnell perfekt zu­sam­men­pas­sende Plot-Teile und situa­tions­ge­rechte Formu­lierun­gen, aber kom­plexe Indivi­duen und Atmos­phäre kreieren kann sie (noch) nicht.

Neben Carl und Roy, den zwei unsym­pathi­schen Prota­gonis­ten mit ihrer üblen Historie als arme Opfer und mit­leid­lose Täter treten noch weitere Personen aus dem Vor­gänger­roman auf oder werden neu einge­führt, um Liebe­leien, Eifer­sucht, Gegner­schaft und der­gleichen Kon­stel­latio­nen und deren Aus­wir­kun­gen zu gestalten, aber sie sind zu farblos, zu blutleer, zu ein­dimen­sional, als dass man sie als Menschen erleben könnte.

So erzeugen zu viele Szenen auf den über vier­hundert Seiten des Königsdramas bloß Langeweile.


Weitere Artikel zu Büchern von Jo Nesbø bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Blood on Snow: Der Auftrag«

go

Rezension zu »Der Sohn«

go

Rezension zu »Die Larve«

go

Rezension zu »Eifersucht«

go

Leseeindruck zu »Headhunter«

go

Rezension zu »Ihr Königreich«

go

Rezension zu »Koma«

go

Leseeindruck zu »Leopard«

go

Rezension zu »Leopard«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Der König« von Jo Nesbø
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book Hörbuch CD


Kommentare

Zu »Der König« von Jo Nesbø wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top