Rezension zu »Koma« von Jo Nesbø

Koma

von


Kriminalroman · Ullstein · · Gebunden · 620 S. · ISBN 9783550080135
Sprache: de · Herkunft: no

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Holt Harry Hole!

Rezension vom 01.12.2013 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Rund um die Uhr bewachen Polizisten die geheimnisvolle Person, die auf der Intensiv­sta­tion des Reichs­hos­pi­tals von Oslo liegt. Man hofft, dass der Patient aus dem Koma erwacht, denn seine Aussage könnte das fehlende Puzzle­stein­chen sein, um einen alten Fall endlich auf­zu­klä­ren.

Der Nesbø-Fan erinnert sich sogleich: Der da im Krankenbett ruht, kann niemand anders sein als Harry Hole, der le­gen­dä­re Pro­ta­go­nist von nun bereits neun Best­seller-Krimis des cleveren nor­we­gi­schen Autors. Harry Hole war in seinem letzten, spektakulär span­nen­den Fall »Die Larve« einem russi­schen Drogen­boss lebens­ge­fähr­lich nahe gekommen. Doch als das Bettlaken an­ge­ho­ben wird, stellt sich heraus: Harry ist es nicht.
Den Nesbø-Fan enttäuscht das nicht, denn er liebt es, dass sein Autor ihn immer wieder an der Nase her­umführt. Was für tolle Wen­dun­gen mag er in Harry Holes zehntem Fall noch in petto haben?
Der Noch-nicht-Nesbø-Fan dagegen könnte im Nachhinein ein bisschen gefrustet sein, denn der Hand­lungs­faden um den Koma­patienten wird arg in die Länge gezogen, bis er ziemlich ausgeleiert ist.

Den Fall kann man in wenigen Sätzen zusammenfassen: Ein wählerischer Serienmörder geht in Oslo um. Im Visier hat er ausschließlich Polizisten. Die lockt er an Tatorte, an denen vor Jahren, am gleichen Tag, zur gleichen Zeit, Verbrechen verübt wurden, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten.

Nesbø entwickelt hieraus eine sehr komplexe Handlung. Der Nesbø-Fan wird sagen, sie sei virtuos und stimmig gestaltet. Der Noch-nicht-Nesbø-Fan könnte sie überladen finden. Wer sich nicht konsequent täg­lich voran arbeitet, wird bei diesem sechshundert-Seiten-Wälzer trotz des hilf­reichen Perso­nen­ver­zeich­nisses Mühe haben, alle Fäden in der Hand zu behalten. Denn der Autor schickt uns auf mehrere Hand­lungs­ebenen, zu zahl­reichen Haupt- und Neben­schau­plätzen und in einige Sack­gassen. Er baut etliche Charak­tere auf, denen wir hinter­hältige Morde zutrauen. Des öfteren gehen wir seinen fal­schen Spuren gehörig auf den Leim.

Nesbø spielt den Ball hoch, wir jagen ihm hinterher und opfern manche Stunde des Schlafes, um aufzuho­len. Vergebens. Seinen Täter hält der Autor nämlich immer hübsch im Schatten und zieht dessen Motiv erst am Ende als Kanin­chen aus dem Hut: »Er tötet aus Liebe, nicht aus Hass, Gier oder irgendwelchen sadis­tischen Trieben.« Als »Apostel der Ge­rechtig­keit« fühlt er sich aus­er­koren, Polizisten zu töten, die »ihrer Verant­wortung nicht gerecht werden, sich von Faul­heit und Gleich­gültig­keit steuern lassen«. Schön und gut, aber es klafft doch eine gehörige Plausi­bili­täts­lücke zwischen der un­ge­brems­ten Bes­tialität der Polizis­ten­schläch­terei und der bis dato be­hut­sam auf­ge­bau­ten un­auf­fäl­lig-stillen Vita des Täters. Aber gut – wir wollen ja bis zum Schluss getäuscht werden, und außer­dem bleibt sich Nesbø tat­säch­lich bis zu aller­letz­ten Seite treu … Halten Sie die Augen offen!

Zurück auf »Los«. Wenn Harry Hole nicht über die Koma­station zurück ins Krimi-Leben darf, wie dann? Was ist aus ihm geworden? Lebt er überhaupt noch? Über gut ein Drittel hin weht allein sein Geist über der Ermittlungsgruppe um Katrine Bratt, Beate Lønn, Gunnar Hagen und Polizeipsychologe Stale Aune. »Was hat Harry immer gesagt? Intuition ist nur die Summe der vielen kleinen Dinge, die das Hirn noch in Worte fassen kann.«

Zweihundert Seiten lang hält Nesbø dicht; dann dürfen auch wir Leser erfahren, was für niemanden sonst ein Geheimnis ist: Der erfahrene Ermittler gibt jetzt sein Wissen an den Nachwuchs weiter. Im überfüllten Auditorium des Hörsaals der Polizeihochschule erläutert er vor zukünftigen Staats- und Bürgerschützern seine Devise: »Finde das Motiv und du hast den Täter.« Nur ein sehr starkes Motiv könne jemanden an­treiben, »die psychologische Schwelle« zu überwinden, welche »rational denkende und emotional normale Menschen« vor der Tötung eines Mitmenschen schützt. (An dieser Theorie gemessen, überzeugen Täter und Motiv des vorliegenden Falles leider nicht ganz.)

Lange braucht man den Dozenten nicht zu bitten, bis er einwilligt, an der Aufklärung der Polizistenmorde mitzuwirken. Er weiß ja nicht, dass er damit sogar sein Lebensglück aufs Spiel setzt. Der brutale Poli­zis­ten­mör­der bringt nämlich Harrys langjährige Geliebte Rakel und ihren Sohn Oleg in seine Gewalt. Nur mit einem Trick gelingt es, die beiden zu befreien. Andernfalls wäre Harry ein ›Lonesome Wolf‹ geblieben und der Krimi um einen ungewöhnlich sentimentalen Schluss gebracht.

Zwar bleiben Gewalt und brutale Grausamkeiten bei Nesbø nie aus, aber in »Politi« (übersetzt von Günther Frauenlob) treibt er sie bei wei­tem nicht so weit wie in den blutigen Vorgängerromanen. Schließlich sind all die Intrigen, politischen Ma­chen­schaften, rück­sichts­losen Egois­men und Mord­komplotts, mit denen der Autor uns schockiert, schon schlimm genug für »rational denkende und emotional normale Menschen«.


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