Beste Beziehungen
Im Januar 2011 wurde »Allmen International Inquiries« gegründet, eine kleine, feine, auf Diskretion bedachte Privatdetektei, die sich auf die Wiederbeschaffung von Pretiosen aller Art konzentriert. Der hochtrabende Firmenname suggeriert weltweites Agieren, wie auch der Internetauftritt viel verspricht: »The Art of Tracing Art«. Doch solcher Marketingkünste bedarf es eben, wenn man sich in die erlesene Marktnische des, sagen wir, ›inoffiziellen‹ Kunsthandels boxen und sich auf Dauer dort behaupten will. Und schon erhält das Team (Friedrich von Allmen, Carlos und die neue Mitarbeiterin María Moreno) einen diskreten Auftrag, nämlich einen Gemäldediebstahl aufzuklären.
Verschwunden ist das berühmte Stillleben »Dahlien, 1872« von Henri Fantin-Latour, einem Zeitgenossen der Impressionisten. Bis vor drei Tagen hing es im Schlafzimmer einer wahren Grande Dame, deren Name noch immer die Liste der einhundert reichsten Menschen der Welt schmückt: Dalia Gutbauer. Einst hat die Erbin eines Industrieunternehmens turbulente Jahre auf der Bühne des Jetsets verbracht, doch inzwischen lebt sie zurückgezogen in einer Suite des Schlosshotels in Zürich am See.
Die Luxusherberge gehört ihr selber und hat ihre besten Jahre hinter sich, ganz wie ihre Besitzerin. Dalia ist von früh bis spät auf Hilfe angewiesen: Sie braucht ein Gestell, um sich wenigstens in ihrem Pflegezimmer fortzubewegen, sie benötigt eine Bedienstete für ihre Körperhygiene, und in allen organisatorischen Belangen muss sie sich auf ihre Privatsekretärin Cheryl Talfeld verlassen. Ihr früheres Schlafzimmer kann sie nicht mehr nutzen; dennoch lässt sie es alltäglich frisch herrichten, birgt es doch viele liebe Erinnerungen. Aber vor ein paar Tagen musste das seit Jahren in treuen Diensten stehende Zimmermädchen nach Spanien reisen, um seine kranke Mutter aufzusuchen, und dank dieses Umstands fiel nicht gleich auf, dass der Fantin-Latour nicht mehr an seinem Platz hing.
Die kostbare Blumenpracht aus Ölfarben hatte einst ein Geliebter Dalia als Geschenk verehrt. Wie er aber in dessen Besitz gelangt war, verbietet noch jetzt den direkten Weg einer Verlustanzeige bei der Polizei …
Deshalb also hat sich Frau Talfeld im Namen ihrer Chefin vertraulich an »Allmen International Inquiries« gewandt, und so wird Herr von Allmen zu einem persönlichen Termin im Nobelhotel vorstellig. Aber gleich nach seinen ersten Eindrücken und einer kurzen Situationsbeschreibung wird ihm klar: So ambulant wird er nicht weiterkommen. Nach Rücksprache mit Carlos beschließt er, medias in res zu gehen und eine der Suiten zu beziehen – was eher Opfer als Verlockung ist. Die restaurierungsbedürftigen Räume sind muffig, die Biedermeierstreifen der Polstergarnituren verschossen, die Sitz- und Rückenflächen durchgescheuert, das betagte Mobiliar ist abgestoßen, und auf dem hohen Doppelbett thront ein Gebirge aus verstaubten Samtkissen.
Herr Klettmann, der Concierge des Hauses, schreibt für Allmen die Namen aller Lieferanten und Bediensteten auf, die das Haus in Betrieb halten. Die Liste ist länger als die der zahlenden Gäste. Seit Jahren schon nimmt die Auslastung ab und tendiert rapide gegen Null. Einzig ein paar Dauergäste logieren hier wie Nesthocker.
Carlos gibt die Devise aus, »las relaciones«, die Beziehungen dieser Herrschaften zueinander aufs Korn zu nehmen. Und da kommen dubiose Machenschaften, Verbrechen und Liebesgeschichten ans Tageslicht. Cheryl Talfeld plaudert aus dem Nähkästchen: Die alte Gutbauer zahlt sogar für den einen oder anderen Stammgast Unterkunft und Logis; sie hält sie sich als eine Art »Trophäe« für Triumphe, die sie immer noch gern auskostet.
Viel mehr darf nicht verraten werden, denn der Plot dieses dritten Allmen-Krimis ist ohnehin ein dünnes Fädchen, schlicht und leicht zu verfolgen. Die Spannungskurve bleibt flach; da gähnt selbst eine der Romanfiguren ganz »undamenhaft«, und ihr entschuldigendes »Stufa« (»Ich bin gelangweilt«) könnte unterwegs auch mancher Leserin entfleuchen.
Ich muss gestehen, dass ich Martin Suters Protagonisten, dem nonchalanten Lebemann von Allmen, nach den ersten beiden Bänden ein wenig verfallen war und erwartungsvoll auf ein Rendezvous im neuesten Roman hingefiebert habe. Wenn ich die rosarote Brille absetze, muss ich aber leider einräumen, dass das Wiedersehen eher enttäuschend verlief. Noch immer brilliert der Autor mit seinem gepflegten, charmanten, weltmännischen Sprachstil. Sein zarter Humor karikiert die Schweizer Nostalgie, ohne ihr wehzutun. Das heruntergekommene Hotel ist von seinem Nimbus ebenso weit entfernt wie die abgetakelten Angehörigen der Hautevolee mit diamantbesetzter Brille, Chanel-Kostüm und Pflegestufe von ihrer einstigen Strahlkraft. Das liest sich nett, hinterlässt keine bleibenden Schäden, ist bald vergessen.
Das Problem liegt darin, dass hauptsächlich Allmens Eigenart die Erzählung trägt, weniger der geruhsame Plot. Dem in den vorangegangenen Romanen geformten Charakter weitere Allüren hinzuzufügen, ohne dass er zur eigenen Karikatur wird, ist für den Autor merklich eine Gratwanderung. Maßgeschneiderte Anzüge aus Edelzwirn, an jedem Wochentag ein Ei in anderer Zubereitung, der lässige Umgang mit dem schnöden Mammon, so dass Herr von Allmen mittlerweile weniger auf dem Bankkonto hat als sein Diener Carlos, der jeden Rappen zwei Mal umdreht – wie oft kann man das wiederholen, was kann man noch gefahrlos obendrauf stapeln?
Einen cleveren Ausweg planiert sich Martin Suter, indem er María Moreno als »Neue« kreiert. Motiviert ist das leicht, denn Allmen liebt halt Personal und Carlos die Frauen. Aber welches Potenzial eröffnet sich da! Schon sind wieder ein paar heitere Seiten gefüllt, und mit der Dritten im Bunde gewinnt der Autor sogar Spielraum für einen vortrefflichen Cliffhanger! Damit ist der nächste »Allmen und …« bereits auf Kiel gelegt.
Tja, solcher Marketingkünste bedarf es eben, wenn man sich in die erlesene Marktnische der, sagen wir, ›Leckermäulchen‹-Kriminalliteratur geboxt hat und sich auf Dauer dort behaupten will.