Rezension zu »La casa dei sette ponti« von Mauro Corona

La casa dei sette ponti

von


Belletristik · Feltrinelli · · Taschenbuch · 63 S. · ISBN 9788807019074
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Emilia-Romagna

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Von einem, der auszog, um sich selbst wiederzufinden

Rezension vom 06.08.2012 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Ein sechzigjähriger Industrieller - weitgereister Seidenfabrikant aus Prato mit Wohnsitzen in Florenz und Bologna - befährt gelegentlich mit seinem Audi die wildromantische, enge und kurvige Straße durch das Tal eines Bergflüsschens hinauf in sein Heimatdorf, um seine alten Freunde wiederzusehen. Eines Tages entdeckt er unterwegs ein merkwürdiges, etwas abgelegenes Anwesen, und es zieht seine Aufmerksamkeit derart auf sich, dass er von dem Haus nicht mehr lassen kann.
Jedes Mal, wenn er in die Gegend kommt, wächst seine gespannte Neugier, was es mit dem seltsamen Gebäude auf sich haben mag. Der Erzähler gibt ihm menschliche Züge: "spunta ... come un saluto ... una casupola umile", die Fenster "guardano dolenti il viavai delle automobili", die Fensterläden "come ciglia sopra occhi malinconici", das Dach verformt wie durch "il pugno di un gigante". Das Seltsamste daran sind die bunten Zeltbahnen, die das Dach wie Fahnen bedecken. Und der Vorbeifahrende wird feststellen, dass die beiden Kamine immer und immer rauchen, ob sommers oder winters. So wirkt das Haus einerseits wie ein fröhliches Zelt, andererseits wie die mysteriöse, abweisende Festung eines Zauberers.

Eines Tages biegt er von der Straße ab, parkt sein Auto, geht hin zu der hölzernen Haustür und klopft an ... Mehr davon zu berichten, was dann folgt, wäre bei dieser kurzen Geschichte Geheimnisverrat und käme hier außerdem wahrscheinlich zu nüchtern 'rüber. Denn es geschehen mysteriöse Dinge, und der Weg über die sieben Brücken des Titels bis zum Schluss ist ein Prüfungsweg wie in alten Märchen und Sagen, jedoch mit zeitgemäßen Inhalten und Botschaften.

Auch diese Geschichte des inzwischen berühmten und anerkannten Schriftstellers, Holzbildhauers und Alpinisten Mauro Corona ist eindeutig verortet - allerdings nicht in seiner Heimat, der Bergregion der Friauler Dolomiten, sondern im Tal des Abetone, ca. 60 km nordwestlich von Florenz und nur etwa 20 km von Pistoia entfernt. Wie in L'ombra del bastone (deutsche Ausgabe: Im Tal des Vajont (Lesen Sie hier meine Rezension.)) ist diese Lokalisierung wichtig. Das "Haus der sieben Brücken" liegt abseits des hochindustrialisierten Arno-Tals, in dem die Geschäfte regieren und die Globalisierung voll zugeschlagen hat ("Prato ... la città conquistata dai cinesi ... ora sembrava una provincia cinese").
Da unten agiert der sechzigjährige "industriale della seta" (der nur unter diesem kalten Titel firmiert, nie einen richtigen Namen erhält). Er ist ein gewiefter Unternehmer mit globalem Horizont: "intransigente, intraprendente, intelligente". Als einziger bot er den Chinesen, als die die gesamte Textilindustrie der Gegend übernahmen, die Stirn; er konnte gegen sie standhalten, weil er ihr Land bereist und ihre Sprache erlernt hatte.
Sein Heimatdorf San Marcello Pistoiese ist Refugium und Gegenentwurf zu seinem Leben. Dort hat man Zeit, Ruhe, Muße; Geld ist von untergeordneter Bedeutung; was zählt, sind Familie, Freundschaft, die Dorfgemeinschaft. Dort überkommen den harten Hund Zweifel, sein Stolz gerät ins Wanken, je öfter er seine alten Freunde trifft: "Lupo il cantante, Stinki il cuoco, Federico il fungaio, ...". Das sind Leute mit "volti scolpiti con l'accetta, rifiniti a pennato, tostati dal sole, forti di fatiche, segnati da lavori pesanti. Erano uomini sereni. Forse anche in pace." Er hingegen hat sich im Kampf verändert, sich seiner selbst entfremdet. Die Erinnerung an das verlorene Paradies der gemeinsamen Kindheit und Jugend zwingt ihn auf die Knie und in leise Tränen ...

Natürlich ist das Haus ein hierzu passendes Symbol, wie Corona plakativ ausformuliert: "un esempio di resistenza alle avversità della vita, alla corrosione del tempo, alla povertà accettata in silenzio. Quella casa comunica l'idea del vivere appartato e fiero di qualche anima solitaria che non chiede niente a nessuno." Kein Wunder, dass der Ort Schauplatz einer Selbstfindung wird.

Mauro Corona hat mit "La casa dei sette ponti" (Eine deutsche Ausgabe ist mir nicht bekannt.) eine Parabel verfasst. Wikipedia kennzeichnet diese traditionsreiche belehrende Textsorte wie folgt:
"... Sie wirft Fragen über die Moral und ethische Grundsätze auf, welche durch Übertragung in einen anderen Vorstellungsbereich begreifbar werden. Das im Vordergrund stehende Geschehen (Bildebene) hat eine symbolische Bedeutung für den Leser (ähnlich der Allegorie). Die Parabel bringt den Leser zum Nachdenken und zum Erkennen eines richtigen Lebens durch die Herleitung des gemeinten Allgemeinen (Sachebene). ..." [http://de.wikipedia.org/wiki/Parabel_(Sprache)]

Parabeln sind ziemlich aus der Mode gekommen. In Zeiten des schrankenlosen Individualismus für jedermann, des garantierten Meinungspluralismus und des global verfügbaren Angebotes an Weltanschauungen traut sich kaum noch jemand, seine Mitbürger in dieser moralisierenden Weise belehren zu wollen. Und was ist Coronas Lehre? Auf Schlagwörter reduziert: Gegen Rationalismus, Kapitalismus und Globalisierung setzt er das Lob der Einfachheit, das Glück in der Familie, das Daheimbleiben im Dorf und seiner Gemeinschaft. Dieses Konzept ist doch arg schlicht, um nicht zu sagen trivial, und die literarische Gestaltung vermag es auch nicht zu überhöhen ...
Wichtiger noch: So eine San-Marcello-Pistoiese-Gegenwelt wünschen sich doch ohnehin viele und brauchen "zum Erkennen eines richtigen Lebens" in diesem Sinne gar keine Parabeln mehr - allein: Im 21. Jahrhundert ist den meisten von uns die Wahlfreiheit zwischen solchen Lebensentwürfen längst abhanden gekommen. Wir können Coronas Erzählung nur noch lesen, am Ende auf die Knie gehen und in leise Tränen ausbrechen ...

Das großzügig gelayoutete Taschenbüchlein - nur etwa 6.500 Wörter auf 63 Seiten - wurde im Sommer in den italienischen Buchhandlungen kräftig beworben. Der Anziehungskraft des wunderlichen Umschlagbildes in Postergröße und des Klappentexts konnte ich mich einfach nicht entziehen. Beide versprechen leider mehr, als das schöne Geschichtchen hält.


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