Rezension zu »La ruga del cretino« von Andrea Vitali

La ruga del cretino

von


Historischer Kriminalroman · Garzanti · · Gebunden · 368 S. · ISBN 9788811688785
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Lombardei

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Gelegenheiten beim Schopfe gefasst

Rezension vom 04.05.2015 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Villa Alba ist die Chance ihres Lebens. La Serpe, die resolute Küsterin im san­tu­a­ri­o di Lezzeno, möchte dringend auch ihre dritte Tochter Birce als Dienst­mäd­chen unterbringen, aber das Mädel ist arg schlicht, plump und verstockt. Der Herr Pfarrer hat sie der feinen signora Giuditta Car­va­sa­na empfohlen, doch wird die das unbedarfte Landei in ihre Dienste nehmen? »Dimmi un po', tu cosa sai fare?«, ermuntert sie Birce drei Mal, ehe die endlich den Mund aufmacht: »›Niente‹, disse.« Glück­li­cher­wei­se fühlt sich die Hausher­rin gerade zur Nächstenliebe berufen (»sentiva da un po' di tempo la necessità di arricchire la sua vita facendo qualcosa per gli altri«) und stellt sie ein, um dem Kinde zur Entfaltung seiner verborgenen Fähig­keiten zu verhelfen. Und was da zum Vorschein kommt, kann niemand ahnen, am we­nig­sten Birce ...

Villa Alba ist die Chance seines Lebens. Professor Cesare Lombroso, Nervenarzt aus Turin, ist überzeugt, dass Eigenschaften der Psyche sich auch physisch manifestieren. Kann man womöglich eines Tages Ver­brecher schon anhand ihrer Kopfform ermitteln? Es gibt genug Kollegen, die seine Ansichten teilen, aber noch viel mehr, die sie für lächerlich halten. Seine Tochter Gina unterstützt ihn mit Rat und Tat, plädiert aber immer für kluge Zurückhaltung, und das ist gar nicht seine Art, die Dinge anzugehen. Seine Mitwir­kung bei der Aufklärung einer rätselhaften Mordserie an jungen Frauen könnte seinen innovativen Theori­en den Durchbruch in der Praxis verschaffen (»Era convinto ... che i principi galileiani fossero i soli utili per fondare una nuova cognizione della psichiatria ... applicare certi metodi scientifici alle indagini di poli­zia ...«). Aber dazu muss er erst einmal nach Bellano reisen, und der Weg dorthin ist voller Widrigkeiten ...

Villa Alba ist die Chance ihres Lebens. Eusapia Palladino hat es satt, als umstrittene Attraktion von Stadt zu Stadt zu ziehen, von den einen als Heldin mit übernatürlichen Fähigkeiten gefeiert, von den anderen als Scharlatanin verhöhnt – »quella donna di cui si diceva tutto e il suo contrario«. Nach einer intimen Tour durch die Schweiz ein paar Tage bei der Freundin untertauchen, in der Abgeschiedenheit ausspannen, end­lich zu sich selbst finden und sich neu orientieren – wie wohltuend das wäre ...

Villa Alba ist die Chance seines Lebens. Ederardo Falcarotti, der rasende Reporter der »Provincia di Como«, spürt jedem Gerücht nach, das er zu einer kleinen Sensation stilisieren kann. Nachdem er der schillernden Prominenten Palladio schon ein Interview abringen konnte, wird er nun sogar eingeladen, sie in der Villa zu besuchen! Worum es bei diesem Treffen geht, wird ihn allerdings überraschen, und er wird ganz neue Erfahrungen machen ...

Villa Alba ist ein Mysterium. Direkt am Seeufer des Lago di Como, aber weit außerhalb des Zentrums ge­legen, genießt Giuditta Carvasana dort diskrete Abgeschiedenheit, während die Einheimischen sich Augen und Kopf zermartern, warum mal dieses, mal jenes Fenster geöffnet oder geschlossen wird, wer die ge­heimnisvolle alleinstehende Bewohnerin überhaupt ist, was sie hierher verschlagen haben mag und warum sie so zurückgezogen lebt. Und auch für die Hausherrin hält das Gebäude noch unerwartete Geheimnisse bereit ...

Villa Alba ist einer von etwa einem halben Dutzend zentralen Schauplätzen, an denen sich die verästelten Handlungsstränge um gut drei Mal so viele Haupt- und noch viel mehr Nebenfiguren aus allen Ständen ranken. Jede einzelne Person – darunter einige historische – ist liebevoll als (meist leicht kauziger) Cha­rak­ter profiliert und eines (meist originellen) Namens würdig, so wie der hochprofessionelle Autor, Arzt und Menschenkenner Andrea Vi­tali dies schon immer praktiziert hat. In diesem Netz von Beziehungen sorgen Eitelkeiten, Missgunst, Ehr­geiz, Kleinkariertheit, Eifersucht und Hinterhältigkeit für permanente Aufregung.

In seinem unverkennbaren, intelligenten Stil – scharfe Beobachtung, reiche Detailfülle, spitze Wortwahl, schelmischer Humor und Ironie in variierenden Dosierungen (»un tocco di formaggio che avrebbe potuto raccontare l'alba dell'umanità«; »›La stupidità dell'uomo non ha confini‹, sentenziò il Defedè senza imma­ginare quanto la moglie fosse d'accordo con lui.«) – erzählt der Autor spürbar genüsslich, wie die Pläne und Hoffnungen seiner Geschöpfe keimen, wachsen, auf die der anderen prallen und im Lauf der Ereignis­se durcheinandergewirbelt, ergänzt, verstärkt oder zunichte gemacht werden. Den Überblick verliert man trotz der Fülle nie – Vitali beherrscht sein Handwerk.

Natürlich ist auch diese Romanhandlung wieder hauptsächlich in Bellano und Umgebung angesiedelt (mit Exkursionen in die akademische Welt von Turin und Mailand), und wieder spielt sie in einer etwas bieder­meierlich anmutenden Vergangenheit (August 1893), als die Welt noch irgendwie heil erschien und Wis­senschaft und Technik sie noch viel besser machen zu können versprachen. In diesem Setting scheint sich Vitali am wohlsten zu fühlen, jedenfalls läuft er dort jedes Mal zur Höchstform auf.

Was ist anders an diesem Buch als an bisherigen Vitali-Romanen? Der Kri­mi­no­lo­ge Massimo Picozzi fir­miert als Ko-Autor, doch was er beigetragen hat, kann ich nicht erkennen. Der Verlag, Garzanti, hebt den Krimi-Charakter hervor, doch der ist – trotz einiger übel zugerichteter Leichen – nur unwesentlich markanter als bei früheren Geschichten, etwa »La leggenda del morto contento« [› Rezension] und »Un bel sogno d'amore« [› Rezension].

Näher als die Konstruktion von Verbrechensplots liegt das Menschlich-Allzumenschliche am Herzen die­ses Autors, und deswegen menschelt es im kleinen Vitali-Kosmos so wunderbar, dass man fasziniert Anteil nimmt und erfahren will, wie es all diesen Leuten denn nun weiter ergeht – egal, ob sie Kriminelle oder Honoratioren, Tugendbolde oder Schlitzohren, Dienstboten oder Professoren sind.

Ein Kriminalroman? Ach woher. Erfrischend erzähltes Volkstheater.


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