Frustrierte Verlockung
Roberto Cotroneo ist Journalist im Kulturressort und Autor etlicher Romane und Essaybände; "Otranto" erschien 1995 als sein zweiter Roman. Schon der monolithische Titel - der Name der weißen Stadt weit unten im Süden Italiens - lockt unwiderstehlich; jeder Reiseführer empfiehlt das Buch als Urlaubslektüre für apulische Strandaufenthalte, jede Buchhandlung in Otranto hält einen Stapel davon in exponierter Lage bereit. Mich hat das Buch frustriert.
Eine junge holländische Kunsthistorikerin reist nach Otranto, um bei der Restaurierung des berühmten Mosaiks in der Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert mitzuarbeiten. Was sie genau macht, erfährt man nicht; auch das Mosaik selbst interessiert nicht weiter (wenngleich doch auf dem Titelbild eines seiner vielen Felder lockt: Urvater Adam). Erzählt wird hingegen ziemlich stereotyp, wie sie durch das Städtchen läuft, oder auch hinaus auf die Klippen und die Felder. Weder der eine noch der andere Schauplatz gewinnt Anschaulichkeit. Denn die Dame ist permanent und ausschließlich mit sich und ihren Begegnungen und Visionen beschäftigt: Bald sieht sie den alten Mann, bald den jungen Mann - beide eher Geister, die sich nicht recht offenbaren wollen, aber doch immer wieder erscheinen und die Frau locken -, sie erinnert sich an Bruchstücke aus der Geschichte ihrer Familie, in der nördliche und südliche Elemente zusammenfließen, usw.
So richtig konkret wird gar nichts. Stattdessen wiederholen sich schlichte Abläufe, Motive und Formulierungen; es wird kräftig mystifiziert, gefragt - Antworten bleiben offen; es werden Linien durch die Jahrhunderte konstruiert, die schließlich suggerieren, dass die Dame wohl quasi eine Mission erfüllt ...
Der hintere Umschlagtext preist das Werk als "intenso romanzo" an, in dem der Autor "con le tessere [...] dei sogni e delle premonizioni" ein planvolles Mosaik erstelle. Das soll wohl eine Parallelität implizieren: So wie das Mosaik in der Kathedrale voller Rätsel ist, so will auch der Roman ein subtiles Netz der Symbolik entwickeln. Der Unterschied ist allerdings, dass der Mönch Pantaleone für seine Zeitgenossen wahrscheinlich Klartext auf dem Kathedralenboden ausgelegt hat: Die Kirchgänger werden die Bilder schon verstanden haben. Cotroneo hingegen benutzt seine Wortkunst, um seine Botschaft zu vernebeln, uns im Ungewissen stochern zu lassen.
Als Urlaubslektüre nicht zu empfehlen - jedenfalls für nüchterne Lesernaturen.
Ausgabe in deutscher Sprache (gebunden, 270 Seiten, Insel-Verlag)