Ausflug in die Höhle des Löwen
Tindari liegt im Nordosten Siziliens, ca. 30 km westlich von Messina, zwischen Gebirge und einer ungewöhnlichen Lagune. Zu sehen sind Ausgrabungen aus der griechisch-römischen Vergangenheit und eine spektakulär über dem Ort thronende moderne Wallfahrtskirche, in der »La Madonna Nera di Tindari« verehrt wird. Kein schlechtes Ziel für eine »Butterfahrt« – eine Busreise also, während der den Fahrgästen großartige Haushaltsgeräte oder ähnliche Knüller angepriesen werden, nicht gerade billig, aber dafür brauchen sie für die Fahrt fast nichts zu bezahlen. Die Eheleute Griffo, zurückgezogen lebende Rentner, gönnen sich dieses bescheidene Vergnügen. Mit an Bord ist die schöne Beatrice Di Leo; sie ist es, die wortreich die Vorzüge eines Kochgeschirrs preist.
Doch die Griffo kehren nie mehr nach Hause zurück. Viel später stellt sich heraus, dass sie in einer abgelegenen Hütte auf dem Land erschossen wurden – ganz im Stil einer Mafia-Exekution. Beatrice und ein Foto bringen Salvo Montalbano auf die Spur: Die Vergrößerung der Aufnahme zeigt, wie signor Griffo durch das Rückfenster des Busses einen nachfolgenden PKW beobachtet. Sogar das Nummernschild ist lesbar; der Fiat Punto gehörte Nenè Sanfilippo, 21, der im selben Haus wohnte wie die beiden ermordeten Senioren.
Allerdings lebt auch Nenè nicht mehr. Der Film beginnt damit, dass man ihn erschossen vor der Haustür auffindet …
Dem Commissario eröffnet sich bald eine Fülle von Einblicken und Erkenntnissen, die erst durch mühsames, sorgfältiges Recherchieren, geschicktes Kombinieren und unkonventionelles Agieren (mancher meint: jenseits des Vertretbaren) überraschende Zusammenhänge zutage fördern.
Nenè war im Porno-Geschäft aktiv; sein Computer ist voller einschlägiger Bilder, Texte und selbst produzierter Filme. Besonders intensive Bande unterhielt er mit einer Rumänin, Ehefrau eines bekannten Organtransplantationschirurgen und Verfasserin eines noch unveröffentlichten Romans.
Was aber soll die Mafia mit all dem zu tun haben? In dieser Hinsicht entwickelt sich ein weiterer Handlungsstrang. Don Balduccio Sinagra, mächtiger Boss des lokalen Clans, lädt Montalbano zu einer Unterredung. Er trägt ihm seine Philosophie vor – und verrät ihm erstaunlicherweise ein Geheimnis.
Auf der Grundlage eines soliden, anspruchsvollen, vielschichtigen und komplex konstruierten Romans ist diese sicher eine der gelungensten Montalbano-Verfilmungen überhaupt. Der Plot ist spannend und berührt etliche relevante Themen (z.B. die »alte« versus die »neue« Mafia; die Problematik, was im Kampf gegen das Verbrechen »erlaubt« ist; differenzierte psychologische Aspekte), die Dialoge sind prickelnd, Gestik und Mimik der Charaktere hintergründig.
Faszinierend sind die Schauplätze: Ein unheimlicher Sarazenenturm am Meer; ein verfallenes Bauernhaus, an dessen Tür sich Salvo austobt; vor allem aber das Schloss Donnafugata, von reglosen men in black bewacht. Auf dessen hochgelegener, langgestreckter Terrasse brennt die Sonne, ein Lüftchen bewegt den Saum des Sonnenschirms, unter dem der steinalte Don Balduccio offene Zwiesprache mit dem geschätzten Polizisten hält. Heißblütig in Worten und Gesten, halb als Karikatur, halb als tragische Figur erscheinend, lässt uns der Mafioso noch in seiner Gebrechlichkeit schaudern, und wir ahnen sein tödliches Potenzial …
Bemerkenswert:
• Catarella, sonst nur hoffnungsloser Missversteher, begnadeter Wortverdreher und (allzu) trotteliger Türöffner, darf in dieser Folge erstmals sein unerwartetes Talent entfalten: Es gelingt ihm in nächtlichen Überstunden, Nenè Sanfilippos Computer zu knacken. Seine IT-Expertise verschafft Montalbano den Schlüssel, mit dem er den Fall schließlich lösen kann.
• Die Talente der signorina Di Leo bleiben (natürlich) auch dem vice-commissario Mimì Augello nicht verborgen. Am Ende des Films geht er ihretwegen selbst auf »Butterfahrt«; Salvo und Dauerfreundin Livia sind mit von der Partie. In Tindari genießen beide Paare den romantischen Ausblick; Hochzeitspläne kommen auf – aber nicht bei allen Betroffenen …
Ausgaben:
• Der Film im italienischen Original: »La gita a Tindari«
• Der Film in deutscher Synchronisation:
»Das Spiel des Patriarchen«
in »Commissario Montalbano – Volume II« (4 DVDs)
• Informationen zu den Textgrundlagen des Films finden Sie in der Übersicht aller Fernsehfilme.
• Außerdem bietet Ihnen Bücher Rezensionen vollständige Übersichten aller Fernsehfilme, aller Romane und aller Erzählungen über den commissario Montalbano.