Der Kater und der Distelfink | Il gatto e il cardellino
von Andrea Camilleri
Platzpatronen, Handtaschen und Eheringe
Äußerst merkwürdige Überfälle beunruhigen vor allem die älteren und frommen Einwohnerinnen Vigàtas, die frühmorgens zur Messe gehen: Ein Motorradfahrer mit dunklem Helm prescht heran, fordert die Handtasche der signora, feuert auf sie und verschwindet spurlos mit seiner lächerlichen Beute. Die Damen fallen zwar um, aber nur in Ohnmacht oder vor Schreck, denn der Räuber benutzt Platzpatronen. Allerdings nur bei Erminia Tòdaro und bei Esterina Mandracchia; Gesualda Bommarito dagegen trifft ein echter Streifschuss aus einer uralten Pistole. Montalbanos Vorgesetzte sind ungehalten, dass er dem Treiben keinen Einhalt zu geben vermag, und machen Druck.
Dann erreicht die Serie ihren Höhepunkt; der »scippatore« wird beim vierten Überfall zum Mörder, und sein Opfer ist Ninetta Ioppolo, Rechtsanwaltsgattin, wohlhabend und aus einflussreichem Hause …
Neben dem Druck von oben bekommt Salvo Montalbano noch private Zusatzaufgaben. Kollege Mimì Augello heiratet am Sonntag seine Beatrice (»Beba«). Salvo ist als Trauzeuge vorgesehen und muss die Ringe beschaffen. Klar, dass er den Zettel, auf dem er die Ringgrößen notiert hat, verschlampt.
Als Vertretung für Mimì (der einen ganzen Monat Urlaub nehmen will) stellt sich Barbara Bellini vor, die Salvo bereits aus Vor-Livia-Zeiten bestens kennt und nicht nur ihm, sondern auch Mimì den Atem raubt …
Ein weiterer Fall beschäftigt das Kommissariat: Der Gynäkologe Saverio Landolina, 50, verschwindet spurlos von seinem Angelplatz an der Hafenmole. Angela Lo Porto, ledig und seit zwanzig Jahren seine Sprechstundenhilfe und heimliche Anbeterin, weiß, was passiert ist, hat sie doch schmerzliche Wochen durchlitten, in denen sich das Drama zuspitzte: Der dottore hatte eine heftige Affäre mit Mariuccia Coglitore, 20, die gleich bei ihrem ersten Frauenarzttermin ihre Unschuld verlor und dann regelmäßig zu Folgeuntersuchungen erschien. Trotz sicherlich kompetenter fachärztlicher Betreuung tritt ein, was nicht eintreten sollte und was Vater Ignazio zum Randalierer werden lässt. Hat er also den Schänder seiner Tochter beseitigt, wie Angela Lo Porto behauptet? Oder ist signora Landolina ihrem Mann auf die Schliche gekommen?
Bemerkenswert:
• Ein hübsches Leitmotiv in dieser Verfilmung ist das wortlose Staunen. Die Kamera verharrt, und wir können schmunzeln, wenn Salvo Barbarella anstarrt, bis er sie erkennt, sich erinnert; wie Fazio bei ihrem Anblick erstarrt (seine erste große Liebe?); wie Mimì dahinschmilzt, Blitze aussendet (und Beba vergisst); wie Mariuccia und der dottore einander mit Blicken verfallen …
• Barbara, im Grunde eine Nebenfigur (meines Wissens nur für diesen Film geschaffen), hat dennoch eine zentrale und letztendlich ordnende Funktion im Geflecht der Beziehungen. Sie erkennt, dass die drei Polizisten Feuer gefangen haben, und muss sich entscheiden, wem sie welche Rolle zuweist. Salvo bleibt »nur« Kollege, beweist aber in der »Niederlage« Größe und Verständnis, indem er Fazio mit Barbara auf eine gemeinsame Mission abordnet (die dann auch den erwünschten Erfolg zeitigt).
• Wie so oft sind auch kurze Szenen – wenige Sekunden – liebevoll mit Details gestaltet: das Pferdegespann, das im Hintergrund über das Pflaster des cortile eines Gutshofs klappert; die spannende Flucht aus dem Heim für »gefallene Mädchen«, die durch düstere Kellergewölbe und Hallen führt.
Ausgaben:
• Der Film im italienischen Original: »Il gatto e il cardellino«
• Der Film in deutscher Synchronisation:
»Der Kater und der Distelfink«
in »Commissario Montalbano – Volume III« (4 DVDs)
• Informationen zu den Textgrundlagen des Films finden Sie in der Übersicht aller Fernsehfilme.
• Außerdem bietet Ihnen Bücher Rezensionen vollständige Übersichten aller Fernsehfilme, aller Romane und aller Erzählungen über den commissario Montalbano.