Non si uccide di martedì
von Andrea Molesini
In den Flitterwochen eröffnet sich dem jungen Paar eine Millionenerbschaft. Doch das Testament der Großmutter enthält vertrackte Klauseln, und zwei potenzielle Miterben kommen ins Spiel. Aus dem Honigmond wird ein Alptraum.
Im Spinnennetz
Diesen Roman zu lesen ist auf weiten Strecken wie ein Blitzschachspiel zu verfolgen, dessen Figuren jederzeit ihre Farbe ändern können.
Die Ausgangssituation ist erfrischend einfach. Es ist der September des Jahres 1938. Der junge, aufstrebende Chirurg Enrico Mancini und seine Gemahlin Rita (mit 21 noch ein paar Jahre jünger als er) sind auf Hochzeitsreise. Beide gehören zu den gehobenen Kreisen ihrer Heimatstadt Venedig. Geld ›hat man‹, und so sind sie in der ersten Klasse eines luxuriösen Dampfers nach Rodi (Rhodos) gefahren, um im dortigen »Grand Hotel delle Rose« ihren Honigmond zu verbringen. In der südostlichen Ägäis fühlte man sich damals in jeder Hinsicht wie zu Hause, denn die Inselgruppe des Dodekanes stand von 1923 bis 1947 unter italienischer Kontrolle. Im Verlauf der Erzählung finden sich zwar ein paar beiläufige Anspielungen auf die faschistische Politik und prominentes Personal der Zeit, aber sie haben – wie auch die Schauplätze Venedig und Rhodos – keine tiefere Bedeutung für die Handlung und dienen nur der Kolorierung des Hintergrundes.
Gleich die ersten beiden Kapitel der Binnenhandlung schütteln die Karten des Liebespaares kräftig durcheinander. Auf der Terrasse des »Caffè Georgios« auf Rhodos gesellt sich generale Costantini, ein Freund von Ritas Familie, zu ihnen. Schlag auf Schlag und taktisch geschickt enthüllt der korpulente, schwitzende Siebzigjährige unerwartete Informationen über Ritas Großmutter Mebel Valt. Der verdankt Rita viel (»mi ha fatto da madre e da padre«). Als Costantini ihr deren handschriftliches Testament vorlegt, sieht sie sich als künftige Alleinerbin eines Millionenvermögens, das Mebel aus einer Ölquelle in Texas zugeflossen ist. Mit einem Trick kann Costantini die vertraulichen Reaktionen der frisch Vermählten genießen (Gier, aber keine Spur von Trauer) und legt sodann seine wahren Neuigkeiten auf den Tisch: Die Oma sei schon vor Wochen gestorben, das gerade vorgelegte Testament sei veraltet, Mebel habe es geändert, bevor sie ihn geheiratet habe, und sein Vorschlag sei nun: »Dividiamo la torta in tre fette, due a voi una a me.«
Was bleibt den frisch Vermählten anderes, als den unsympathischen neuen Familienangehörigen als »mascalzone« zu verachten, sich mit den ihnen verbleibenden zwei Dritteln der Dollar-Millionen zu bescheiden und ihre Flitterwochen zu genießen? Doch das Bauprinzip dieses Romans gönnt ihnen und den Lesern keine Pause. In Kapitel 2 begibt sich Enrico an die Hotelbar, wo ihn Giorgio Ridolfi erwartet. Er stellt sich als Mebels Anwaltvor und erläutert heimtückische Klauseln im neuen Testament der verstorbenen »santa donna della signora Valt«: Falls einer im Erbentrio versterbe, falle die Ölförderkonzession an die beiden Überlebenden, und – noch kurioser – falls alle drei den Tod finden sollten, sei er (Ridolfi!) der Alleinerbe! Am Ende unterbreitet auch er einen Vorschlag: »Una fetta, un quarto della torta, per me, i restanti tre quarti a voi nipoti … e al marito della povera defunta.«
Damit ist die Serie ungeahnter Überraschungen keineswegs erschöpft – im Gegenteil. Waren die vier Protagonisten bislang recht eindimensional und für alle anderen vermeintlich durchschau- und manipulierbar, eröffnen sich jetzt in unzähligen Gesprächen und Episoden Abgründe. Enrico ist weder fehlerfrei, noch ist er der treue, fürsorgliche Gatte, den er Rita vorturtelt. Aber auch deren Fassade einer etwas naiven, gutmütigen höheren Tochter bröckelt angesichts des immer dreister auftretenden Duos Costantini/Ridolfi, und erstaunliche Skrupellosigkeit tritt ans Licht. Schließlich bleibt kein Stein auf dem anderen, Gier und kühles Taktieren bestimmen den Umgang miteinander.
Die Zahl der Spieler bleibt übersichtlich, aber was in ihren Köpfen vorgeht, erschließt sich erst mit der Zeit und wandelt sich überdies mit den Umständen. Die Stimmung verdichtet sich, bis Entscheidungen getroffen werden müssen. Nie ist vorhersehbar, wie jede Person nach der nächsten Wendung agieren wird, und manche schafft einfach Fakten. Jeder Spieler gewinnt mit jedem Zug an Komplexität, und die Konstellation der Figuren wird immer unübersichtlicher. Die Spannung, wie das wohl weitergehen mag, wie sich wohl alles aufdröseln mag, wer am Ende zu den Opfern, wer zu den Gewinnern gehören mag, bleibt erhalten. Im letzten Drittel sorgen ungeahnte Horror-Einlagen für Aufregung beim Lesen, und schließlich erreicht die Handlung groteske bis sarkastische neue Höhepunkte.
Andrea Molesini ist jedoch kein Fan ausschweifender Beschreibungen. Sein Stil ist im Gegenteil recht sachlich und unprätentiös. Die Dialoge verlaufen ohne Umschweife, die Szenerie wird nur knapp skizziert, die Handlung geht zügig voran. Die Konversationen sind mit Ironie, Spott und kleinen Beleidigungen gewürzt (»santarellina«, »maritino«, »arpia« …), und wir schwanken zwischen Schadenfreude und Mitleid angesichts der mühsamen Versuche, Fassaden aufrechtzuerhalten, Haltung zu bewahren, Absichten zu verschleiern, und der kleinen Ausbrüche von Wut, Triumph, Arroganz und dem Auskosten fragiler Überlegenheit.
Als habe der Autor nicht auf den Unterhaltungswert seines abwechslungsreichen, spannenden und witzigen Rätselspiels vertraut, hat er die zentrale Geschichte mit zwei rahmenden Teilen ergänzt. Der eine erzählt eine kleine Episode der Vorgeschichte, die dem aufmerksamen Leser unnötige Vorausverweise liefert und für das weitere Verständnis nicht erforderlich wäre. Der andere folgt als »Coda«, nachdem der Plot bereits einen ›runden‹ Abschluss gefunden hat, und soll das Binnengeschehen auf eine höhere, philosophische Ebene heben. Leider wirkt er aber einfach nur aufgesetzt, rätselhaft und wäre besser weggeblieben.