Viel zu heiß für Verbrechen in Venedig
Donna Leon lässt uns Leser nicht im Stich. Wie in jedem Jahr ist soeben ein neuer Fall für Commissario Brunetti erschienen – der 19.: "Auf Treu und Glauben". Ihre Bücher haben Suchtcharakter: Ist man ihnen erst einmal verfallen, so muss man zwangsläufig auch diesen Sommer dabei bleiben.
In ihrem sehr gefälligen Sprachstil entwickelt Donna Leon Krimis, die geprägt sind von den alten liebgewonnen Bekannten. Dem zurückhaltenden, einfühlsamen Commissario Brunetti stehen der treue Ispettore Vianello und die hübsche Signorina Elettra zur Seite; sie arbeitet still im Hintergrund, erfasst schnell Zusammenhänge, surft flink im Internet, loggt sich in Dateien verschiedenster Ämter ein. Die Herren der Schöpfung wären ohne sie echt aufgeschmissen.
Kaum vorstellbar wäre diese Questura ohne Vice-Questore Patta und seinen stets verbundenen Tenente Scarpa. Während Patta glaubt, er gehöre zur High Society, sei ein gern gesehener Gast im Lions Club und könne sich nach Gutsherrenart aufführen, würde Brunetti ihn als kompletten Idioten abtun, hätte er nicht ab und an ein paar lichte Momente.
Es ist ein heißer August in Venedig. Brunetti und seine Familie, die intellektuelle Paola und seine fast erwachsenen Kinder Raffaele und Chiara, freuen sich auf erholsame Ferien in Südtirol. Es sieht so aus, als hätten Venedigs Verbrecher eine Sommerpause eingelegt oder ihre Aktivitäten in kühlere Gefilde verlegt – nichts stellt sich dem Urlaub in den Weg.
Im Zug kurz vor Bozen klingelt Brunettis Handy. Claudia Griffoni, die dienstjüngste Kommissarin, die als einzige die Stellung in der Questura hält, berichtet von einem Raubüberfall mit tödlichem Ausgang. Der Tote war ein zuverlässiger Beamter, der als Gerichtsdiener im Tribunale seine Arbeit tat. Natürlich nimmt Brunetti den nächsten Zug zurück nach Venedig. Auch Vianello kehrt aus den Ferien zurück. Die Ermittlungen decken einen Mord auf, hinter dem ein sehr trauriges Schicksal steht.
Kein Kapitalverbrechen, keine Korruption in Regierungskreisen, keine Mafia – es ist der Sand im Getriebe, der Brunetti dieses Mal zu schaffen macht. Ein Arzt, der seine Laborantin gewinnbringend für sich arbeiten lässt, eine Richterin, die ihre Fälle über Jahre aufschiebt, und der Tote, der mit seiner Mutter seit Jahren in einer großen Wohnung in einem der edlen Palazzi residiert, die er sich eigentlich nicht leisten kann ...
Eine Figur wie Commissario Brunetti – eigentlich eine Lichtgestalt, die immer gerade ihren Weg geht, die Hoffnung nicht aufgibt, den "Augiasstall" ausmisten (S. 39) und alles zum Guten wenden zu können – kann es nur bei Donna Leon geben. Man spürt den anständigen, distinguierten Charakter der Autorin, selbst bei einem schmuddeligen Verbrechen.
"Auf Treu und Glauben" ist ein gemächlicher Krimi. Am Ende ist der Sommer ist noch nicht vorbei, und Brunetti kann doch noch ein paar Tage lang in den Bergen abschalten, während in Venedig alles wieder ist, wie es ist: Die Touristen kommen und gehen und werden allenfalls von den kleinen Gaunern behelligt.
P.S. Bekanntlich isst das Auge mit: dunkelblau, leinengebunden, auf dünnem Papier gedruckt – auch das macht das Lesen zum Genuss. Ein Roman des Diogenes-Verlags.