Vergnügliche Bereicherung
Der Neapolitaner Luciano De Crescenzo (1928 in Santa Lucia geboren und Klassenkamerad von Bud Spencer) ist in Italien bekannt wie ein bunter Hund. Nach einem Ingenieurstudium verdiente er gut bei IBM, kündigte den Job aber mit 47 Jahren, um sich ganz der Philosophie und der Schriftstellerei zu widmen. Gleich sein erstes Buch »Così parlò Bellavista« (1977) schlug als Bestseller ein. Der pensionierte professore Gennaro Bellavista tauscht mit seinen Gästen, allesamt neapolitanische Originale, Ansichten über ihre Heimatstadt und die Welt, Gott und die Leute, die Freiheit und die Liebe, das Leben an sich aus. Zwischen diesen ›Lektionen‹ illustrieren köstliche Episoden Witz und Philosophie des neapolitanischen Alltags. Die innovative Form, die leichtfüßige, amüsante, lebensnahe Vermittlung philosophischer Inhalte und die liebevolle Charakterisierung Neapels fanden Millionen begeisterte Leser in aller Welt. 1984 schrieb Multitalent De Crescenzo das Drehbuch für die Verfilmung, führte Regie und übernahm gleich noch die Hauptrolle. Es folgten gut dreißig weitere Bücher, teils Darstellungen zur griechischen bis neuzeitlichen Philosophie, zumeist aber ähnlichen Stils wie »Bellavista« mit autobiografischen und neapolitanischen Bezügen. Die meisten wurden wiederum internationale Bestseller.
Auszüge aus dem aktuellsten der feuilletonistischen Bücher in der »Bellavista«-Nachfolge (2008 bei Mondadori erschienen) hat dtv jetzt in seiner Reihe »dtv zweisprachig« herausgebracht. Es bietet achtzehn kurze Geschichten (zwei bis sieben Seiten), durchweg vergnüglich, geistreich und anregend, über die unterschiedlichsten Themen (Gott und der Teufel, die Dummen und der Zweifel, Statistik und Sexualleben, Fluch und Segen des telefonino- und des Computerzeitalters ...) und abwechslungsreich in der Form (Anekdoten, Essays, eine Gerichtsszene, eine förmliche Anfrage an den Justizminister ...).
Man sollte aber im Italienischen schon ganz gut zu Hause sein, um alle Zwischentöne, Pointen und Spitzen im Plauderton mitzubekommen. Wo man unsicher ist oder etwas gar nicht versteht, hilft der Blick auf die gegenüberliegende Seite, wo die Übersetzung von Franziska Bolli und Achim Lunkenheimer bereitsteht. Es ist wie immer bei dieser lobenswerten und verdienstvollen Reihe keine wörtliche, sondern eine literarische Übersetzung, die das italienische Original in gutes, flüssiges Deutsch überträgt. Solange man ›nur‹ den Text genießen und sich keinen Sprachunterricht verordnen möchte, hilft das locker über die Hürden.
Will man jedoch genau hinschauen und begreifen, kommt man ohne Wörterbuch und Grammatik kaum aus. Denn jede literarische Übersetzung entfernt sich gelegentlich vom ursprünglichen Wortlaut und lässt dessen Vokabeln und Grammatik infolgedessen nicht mehr erschließen. Was beispielsweise »fare il solletico a qualcuno« in der Phrase »fargli un po' di sano solletico« wörtlich heißt (»jemanden kitzeln«), geht aus deren Übersetzung »dort ein bisschen Rambazamba zu machen« nicht mehr hervor. Auch Wortspiele lassen sich naturgemäß kaum als solche erhalten: »Ero un patito del mare.« / »Attualmente invece mi definisco un pentito del mare« wird zu »Ich war ein Meerfreak.« / »Heute dagegen habe ich mit dem Meer nichts mehr am Hut.« und verliert die gerade für Neapel relevanten Bedeutungsebenen von »pentito« (»reumütig; Geständiger, Kronzeuge; ehemaliger Mafioso oder Krimineller, der mit der Justiz zusammenarbeitet«).
»Il caffè sospeso | Espresso mit Herz« richtet sich an »Könner«. In der Tat sind Wortschatz, Grammatik und Syntax stellenweise anspruchsvoll. Die philosophischen Exkurse sind hingegen gut genug im Alltag geerdet, um nach Feierabend oder am Strand anstrengungsfrei schmunzelnd konsumiert zu werden. Danach bietet die Reihe folgenden Nachschub für Könner:
• »Fioretti della Toscana | Toskana-Lesebuch«
• »Capricci | Skurrile Geschichten italienischer Autoren«
• »Una giornata | Wie ein Tag«
• »Tutto sembrava normale | Eigentlich war alles normal«
• »Racconti romani | Römische Erzählungen« von Alberto Moravia
• »Amore all italiana | Italienische Liebesgeschichten«
Etwas einfacher zu lesen sind folgende Ausgaben für Fortgeschrittene:
• Massimo Marano: »L’ultimo applauso | Der letzte Applaus« [› Rezension]
• Valeria Vairo: »Profumo d’Italia | Ein Hauch Italien« [› Rezension]