Rezension zu »Und es kommt ein neuer Winter« von Massimo Carlotto

Und es kommt ein neuer Winter

von


Ein heiter-makabres Schelmenstück aus einem etwas abgelegenen italienischen Bergtal mit verehrten, verliebten, verkannten, verwirrten und verkommenen Bewohnern. Die Zeiten ändern sich und die Menschen mit ihnen.
Kriminalroman · Folio · · 220 S. · ISBN 9783852568508
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Norditalien

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Hauptsache: alles in Butter

Rezension vom 05.06.2022 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

In Italien gehört er zu den Vielbeachteten seiner Zunft, schon seit er mit seinem auto­biografi­schen Erstling Aufsehen erregte. In »Der Flüchtling« (1995) [› Rezension] verarbei­tete Massimo Carlotto seine eigenen bitteren Erfah­rungen zwischen Mord­anklage, Schuld- und Frei­sprüchen, Gefangen­schaft, Freiheit und Flucht. In jähr­lichem Takt folgten dann weitere Krimis. 2002 wurde »Il maestro di nodi« als bester Kriminal­roman mit dem Premio Giorgio Scerba­nenco ausge­zeichnet, aber trotzdem bis heute nicht ins Deutsche übersetzt.

Sein jüngstes Werk erschien 2021, und es über­rascht, weil es aus der Reihe fällt. Anders als der Titel befürch­ten lässt (eine weitere Klima­wandel-Apoka­lypse?), geht es lustig zu in diesem Buch. Im Gegensatz zu den gewohnten ernsten bis ›harten‹ Vorgän­gern bietet es leicht­füßige, kurz­weilige Unter­haltung mit einer possen­haften Handlung, die sich in ländlich-traditio­neller Umgebung in Nord­italien zuträgt. Ingrid Ickler hat den Roman für den Folio-Verlag ins Deutsche übersetzt.

Originalausgabe:
»E verrà un altro inverno«
(2021, Verlag Rizzoli)
Massimo Carlotto: »E verrà un altro inverno« auf Bücher Rezensionen
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Das kleine Dorf in einem nicht näher bestimm­ten italieni­schen Alpen­tal ist ein Hort alther­gebrach­ter Struk­turen. Unbe­einträch­tigt vom Wechsel der Genera­tionen sorgt eine Ober­schicht für Arbeits­plätze und wird dafür mit Aner­kennung belohnt. Für Ruhe und Ordnung ist eine respek­table Amts­person der Cara­binieri zuständig, derzeit Mare­sciallo Capo Piscopo, dessen schlag­kräftige Statur mitver­antwort­lich ist, dass dieje­nigen unter seinen Pappen­heimern, deren Rechts­bewusst­sein schwächelt, nicht über die Stränge schlagen. Im Grunde hält er alle Einheimi­schen für Unschulds­lämmer und deswegen den Schutz­schirm seiner »schaufel­großen« Hände über sie. Viel­leicht schwä­chelt aber auch seine Seh­schärfe, zumindest auf einem Auge. Jeden­falls müsste er (wenn er nicht so träge wäre) bei manchem Zeitge­nossen schon genauer hin­schauen, etwa bei Fausto Righetti (»Riga«), dem einzigen »einiger­maßen ernst­zuneh­menden Krimi­nellen« weit und breit.

Trotz aller gesellschaftlichen Beharrung im Gebirgs­tal bleibt auch hier die Zeit nicht stehen. Als das einzige Unter­nehmen am Ort (eine Kleider­fabrik) finan­ziell in Schief­lage gerät, wird es von einem Konzern ge­schluckt, und der streicht natürlich als erste Maßnahme eine Menge Arbeits­plätze. Zwei davon haben Michele und Roberto Vardanega inne, deren verwandt­schaft­liche Bande zur Eigen­tümer­familie Pesenti sie auch nicht vor der Entlas­sung bewahren können. Gut, dass ihre Ehefrauen (zwei Schwes­tern) mit gesundem Selbst­bewusst­sein gesegnet sind und mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen.

Da auch die kleinen Leute im Tal irgendwie am Wohler­gehen der Pesenti-Dynastie partizi­pieren, liegt allen daran, deren Nieder­gang abzu­wenden und den guten Ruf zu bewahren. Zu diesem Zweck muss Federica, die 35-jährige Tochter, in eine »Zweckehe« einwil­ligen. Das fällt ihr nicht leicht, findet sie doch bereits reichlich Erfüllung in ihren geheimen Techtel­mechteln mit Stefano Clerici, einem gleich­altrigen Finanz­berater und Jung­gesellen. Dagegen hat es Bruno Manera (der Auser­wählte) deutlich schwerer, denn er hat bereits fünfzig Lebens­jahre auf dem Buckel. Anderer­seits hat der Witwer aus der Stadt ein überzeu­gendes Argument auf seiner Seite: Als erfolg­reicher Immo­bilien­hai kann er das Vermögen vorweisen, dessen die Pesenti so dringend bedürfen.

Richtig aufregend entwickelt sich die Angelegen­heit, als auf Bruno Manera ein nieder­trächti­ger Anschlag verübt wird. Wer und was mag dahinter­stecken? Jeden­falls nicht die liebliche Federica, da ist sich das Opfer mit seiner rosaroten Brille sicher. Während er im Kranken­haus gesund gepflegt wird, sorgt der Mare­sciallo dafür, dass die Gerüchte­küche brodelt, und tatsäch­lich sind sich die Dörfler schnell einig, dass Manera (er führt ein Doppel­leben! unterhält Kontakte zur Mafia! verkehrt mit Drogen­händlern!) schleu­nigst aus ihrem Örtchen verbannt werden muss.

Nun schlägt die große Stunde von Manlio Giavazzi. Niemand hat dem Fünfzig­jährigen jemals Aufmerk­samkeit geschenkt, während er Tag für Tag als Wachmann vor der Bank steht. Er aber konnte aus dieser Perspek­tive so manches beob­achten, wie zum Beispiel, was sich da zwischen Stefano und Federica tut, und er hat genug Zeit und Muße, ausgiebig und kreativ darüber zu grübeln, wie er all die interes­santen Vorgänge zu seinem Nutzen aus­schlach­ten könnte. Irgend­etwas wird am Ende schon für ihn heraus­springen.

Gäbe es in diesem Buch keine kriminellen Ver­strickun­gen, gar Erpres­sungen und sogar Morde, so wäre es immer noch ein herrlich wendungs­reiches Schelmen­stück inmitten einer dörf­lichen Idylle. Schlag auf Schlag folgt ein amüsantes Ereignis auf das andere. Was gewisse Dummdödel an Kol­lateral­schäden verur­sachen, kehren andere unter den Teppich, damit im Tal bloß alles wieder sauber und ordent­lich aussieht wie eh und je. Mit anderen Worten: Dies ist ein Kriminal­roman, dessen Akzent auf zweck­freier, guter Unter­haltung liegt, bei dem das Lachen nicht zu kurz kommt und der ein paar Stunden unbe­schwerte Lese­freude garantiert.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2022 aufgenommen.


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