Rezension zu »Das Krokodil« von Maurizio de Giovanni

Das Krokodil

von


Kriminalroman · Teil der Serie »I Bastardi di Pizzofalcone« · Kindler · · 336 S. · ISBN 9783463403700
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Neapel und Golf

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Neapel sehen und ... töten

Rezension vom 10.04.2014 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Abgeschoben hat man ihn. Im Strafprozess gegen einen Mafioso hatte der Ange­klagte ihn als korrupten Infor­manten verpfif­fen, und da war ispettore Giuseppe Lojacono (dessen Familien­name auf dem »a« betont wird) im siziliani­schen Agrigento nicht mehr zu halten, obwohl er sich nichts der­gleichen hatte zu Schulden kommen lassen. Aber die Indizien­lage reichte nicht aus, um die üble Nachrede abzu­schmet­tern, und so wurde das bis dahin gefürch­tete hohe Tier »aus reiner Zweck­mäßig­keit« nach Neapel versetzt.

Die Behördenaktion hat nicht nur Lojaconos blendende Karriere­aussichten, sondern auch seine Familie ruiniert. Frau und Tochter sind nach Palermo gezogen, wo es ihnen sehr schwer­fällt, sich ein neues Leben einzu­richten.

Zehn Monate hockt der ispettore nun schon in der Schreib­stube einer unbe­liebten Polizei­station in Neapel und schlägt seine Zeit mit Pokern am Computer tot. Seine Kollegen lassen ihn nicht zum Zuge kommen, und niemand interes­siert sich für seine unmaß­geblichen Meinungen.

Als Lojacono mal wieder eine Nacht­schicht absitzt, bestellt ihn ein anonymer Anruf zu einem Tatort. Im Hinter­hof eines alten Miets­hauses findet er einen sechzehn­jährigen Klein­dealer, erledigt durch Kopf­schuss. Schlimmer noch als der Anblick des jungen Toten mutet den Polizis­ten der der gebroche­nen Mutter an: der »stumme Schrei« ihres schmerz­verzerr­ten Gesichtes, »ein Abbild des Wahnsinns«.

Die Mafia, das ist Lojacono klar, steckt nicht hinter dem Mord. Wenn die zuschla­gen, dann entweder mit Aufsehen erregen­dem Brim­borium, das alle in Angst und Schrecken versetzt, oder ganz im Stillen, ohne Spuren zu hinter­lassen. Aber Lojacono fragt ja niemand. Commissario Di Vincenzo vom Kommis­sariat San Gaetano übernimmt den Fall und lässt als erstes den ispettore abblitzen. Er hat schon genug Ärger mit der stellver­tretenden Staats­anwältin, die man ihm vor die Nase gesetzt hat: Mit dottoressa Laura Piras, einer Sardin aus Cagliari, erst dreißig und bereits »eine harte Nuss«, ist nicht gut Kirschen essen.

Ehe auch nur ansatzweise erkennbar wird, warum der Sech­zehn­jährige sterben musste, werden zwei weitere junge Menschen auf gleiche Weise aus unmittel­barer Nähe getötet. Merk­würdiger­weise scheint der Täter die Spuren, die er am Tatort hinter­lässt, nicht zu fürchten – im Gegenteil: Außer den Patronen­hülsen finden die Polizis­ten jedes Mal nass geweinte Taschen­tücher. Die dicken Krokodils­tränen ver­schaffen dem dreist-grausamen Serien­mörder schnell seinen Beinamen »Krokodil«.

Wir Leser lernen den Mann gleich im ersten Satz kennen: »Der Tod kommt um acht Uhr vierzehn auf Gleis drei an, mit sieben Minuten Verspä­tung.« Er hat seine Reise bis ins kleinste Detail voraus­geplant und im Internet dafür recher­chiert. Ein einfaches Unter­nehmen ist das alles nicht für ihn, denn hinter ihm liegen Jahre der Verzweif­lung; nur Erinne­rung und Sehnsucht nach einem Wieder­sehen haben ihn durch­halten lassen. In eindring­lichen Liebes­briefen lesen wir von seinen Empfin­dungen – »Dein Lächeln, Deine Schönheit, Dein blondes Haar. Die Wärme Deiner Hände auf meinem Gesicht« – und seiner Zuver­sicht, »Dich noch einmal an mein Herz drücken [zu] können«.

Die Ermittler tappen derweil freilich im Dunklen. Nach dem dritten Mord und ausblei­benden Erkennt­nissen ist dottoressa Laura Piras ganz Ohr für Lojaconos Ansatz. Di Vincenzos Wider­stand ignorie­rend, holt sie den ispettore in ihr Team, und langsam kommt Bewegung in die Aufklä­rungs­arbeit. Alle drei Opfer waren Einzel­kinder und der einzige Lebens­sinn ihrer allein­erziehen­den Mütter bzw. des Vaters. Wollte das »Krokodil« womöglich die Erwach­senen strafen? Doch wofür, und was verbindet sie? Sie stammen aus ganz unter­schied­lichen sozialen Milieus.

Mit »Il Metodo del Coccodrillo« Maurizio de Giovanni: »Il Metodo del Coccodrillo« bei Amazon , dem ersten Fall einer Serie um den ispettore Giuseppe Lojacono, hat der italienische Autor Maurizio de Giovanni einen durch und durch ungewöhn­lichen und überzeu­genden Krimi vorgelegt. Verdienter­maßen wurde er 2012 mit dem »Premio Scerba­nenco«, dem wichtigsten Preis für italieni­sche Kriminal­literatur, ausge­zeichnet. Susanne Van Volxem hat das Buch ins Deutsche übersetzt.

Die Handlung ist stringent und logisch stimmig angelegt, die Spannung hält bis zur aller­letzten Seite an, schließt dann noch mit einem Knüller ab und benötigt für all das keinen Blutfaktor. Die Personen sind interes­sante Menschen, alle mit einem beson­deren Charme. Prota­gonist Lojacono und Staats­anwältin Piras versuchen ihre Empfind­samkeit und ihre Vorge­schichte hinter einer harten Schale zu schützen. Selbst dem tötenden Monster kommt man emo­tional näher, als man möchte. Auch hinter dem »Krokodil« steckt ein gebro­chener, schuld­beladener Mensch, dessen Tatmotiv keinen Leser kalt lassen wird.

All dies ist in die quirlige Atmosphäre Neapels eingebettet, das manche einen Moloch, andere Italiens auf­regendste oder gar schönste Stadt nennen. Dicht gedrängt leben die vielen Menschen hier beiein­ander, und sie haben seit langem gelernt, mit Mühsal und Macht­losig­keit, mit Armut und Angst zu leben. Wenn etwas Schreck­liches geschieht, schauen sie lieber weg, um nichts sehen zu müssen, verkriechen sich, schweigen beharr­lich. Daher können kleine und große Verbrecher ihre späteren Tatorte und Opfer leicht aus­kund­schaften, ohne registriert zu werden, und mafiöse Strukturen konnten sich über viele Jahr­zehnte hin verfestigen.

De Giovannis Erzählstil ist eingängig und nicht selten von leichter Heiterkeit durch­weht. Richtig spritzig sind die Dialoge zwischen Lojacono und seinem Partner, dem Polizei­meister Luciano Giuffrè, der einst Chauffeur eines Ministers war und nun wie der ispettore aufs Revier versetzt wurde, um Strafan­zeigen aufzu­nehmen und Papier­kram zu erledigen: »zwei Gefan­gene auf Alcatraz«.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2014 auf­genommen.

Nachtrag im Mai 2021: Diesem Kriminalroman folgten inzwischen viele weitere, die alle in Neapel spielen und die Reihe »I Bastardi di Pizzo­falcone« bilden. »Das Krokodil« erzählt die Vorge­schichte dazu. Die »Bastardi«-Krimis waren derart erfolg­reich, dass sie auch für das Fernsehen verfilmt wurden. Was es mit ihr und dem deftigen Namen auf sich hat, erfahren Sie mit vielen Hinter­grund­informa­tionen in meiner Übersicht der Kriminalromane und Fernsehfilme von Maurizio de Giovanni.


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