Rezension zu »La giustizia di Pulcinella« von Massimo Torre

La giustizia di Pulcinella

von


Kriminalroman · Edizioni e/o · · 224 S. · ISBN 9788866328544
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Neapel und Golf

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Der Spiderman der Sanità

Rezension vom 19.07.2017 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Sanità – das ist ein unscheinbarer rione in Neapel. Touristen sehen keine Veran­lassung, in diesem Stadt­viertel herum­zustro­mern. Dabei geschehen hier, wo die ein­fachen Leute unter sich bleiben, Dinge, die weltweit Aufsehen erregen.

Einem einzelnen Mann, der sich Pulci­nella nennt und seine wahre Identität verbirgt, ist es gelungen (das erzählt der erste Band der Roman­serie), den Camorra-Boss Clemente Sparaco der Lächer­lich­keit preis­zu­geben, dann zu töten und seiner Compagneria das menschen­verach­tende Handwerk zu legen. Damit hat der Unbe­kannte die ganze Stadt aus Angst und Lethargie befreit und den Ein­wohnern Hoffnung, Freiheit und Würde zurück­gege­ben. Mit dem Frieden wächst ihr Stolz auf das Erreichte und ihr Mut, gegen neue Über­griffe, Gewalt und Krimina­lität aufzu­stehen. Auf einer Webseite können sie sowohl weitere Mafia-Aktivi­täten als auch Korrup­tion und Versäum­nisse staat­licher Institu­tionen bei der Verbrechens­bekämp­fung anprangern. Freiwillige Experten unter­stützen Pulci­nellas Feldzug für die Gerech­tigkeit. Heiter­keit zieht wieder ein, die Lebens­qualität steigt, unter­nehme­rische Initia­tiven blühen auf.

Aber Pulcinella hat sich mit einem übermächtigen Feind angelegt. Im zweiten Band erfahren wir, wie sich die bislang rivalisie­renden Camorra-Clans zusammen­schließen, um ihn aufzu­spüren und zu besei­tigen. Doch sie sind selbst nur Werk­zeuge einiger weniger Familien, die seit Jahr­hunder­ten im Verbor­genen die Fäden ziehen, um skrupel­los Macht und Reich­tum zu mehren. Sie haben sich interna­tional in einem uralten, erz­konserva­tiven Club zusammen­geschlossen, wo ein nationaler Primo Responsabile den Ton angibt. In einem spekta­kulären blutigen Akt hat Pulci­nella, der sich mittler­weile im weit­läufigen Laby­rinth des neapoli­tanischen Unter­grunds (Napoli sotterranea) einge­nistet hat, den amtie­renden Vorsit­zenden gerichtet.

Im Prolog des dritten Bandes wird diese Vorgeschichte des Spaß­machers, Rächers und Beschüt­zers sehr dicht rekapi­tuliert, ehe klar wird, dass für Pulci­nella noch viel zu tun bleibt. Denn der Hydra des Verbre­chens wachsen viele Köpfe nach. Der junge Ciro Sparaco, soeben aus der Hölle des Gefäng­nisses ent­kommen, ist begierig darauf, das Erbe seines Vaters anzutreten. Die macht­gierige Rossella Spina, die sich gerade an die Spitze des Clans der Arrevotati durchge­kämpft hat, wittert ihre Chance, nach ganz oben durchzu­starten. Costanzo Filan­gieri de Candida, Bischof von Neapel, will unbe­dingt die Nachfolge seines ermor­deten Cousins als Primo Responsabile del Club in Italien antreten. Und schließlich macht ein weiterer Unbe­kannter, der sich »Il Muto di Portici« nennt, Karriere als Serien­mörder. Er tötet immer im Doppel­pack, zerlegt die beiden Leichen, arrangiert ihre Teile zu einem geheimnis­vollen Symbol und deklariert sie als »agnelli sacrificati al dio Pulci­nella«.

Damit befindet sich Pulci­nella – gefeierter Wohltäter und gesuchter Schwer­krimineller – mitten auf einem explo­siven Schachbrett voller Mitspieler mit undurch­sichtigen Ambitio­nen. Manch vorgeb­licher Sympathi­sant sinnt in Wahr­heit auf Rache. Mancher Politiker und hohe Polizei­beamte gibt sich als Mit­streiter für die Gerech­tigkeit, will aber insge­heim nicht kampf­los von Karriere und Pfründen lassen. Selbst der italieni­sche Staat ist ein eifer­süchti­ger Gegner, will er doch in den Augen der europäi­schen Partner nicht als unfähig und hilflos dastehen. Im Grunde kämpft jeder gegen jeden. Im Chaos dieser undurch­sichtigen Bezie­hungen voller tödlicher Gefah­ren liegt einer der Reize dieses Krimis.

Vor allem aber fasziniert der ungewöhnliche Prota­gonist der Serie, ein komplexer literari­scher Hybrid. Einer­seits ist er eine Art Spider­man nach amerika­nischem Comic-Muster, doch voll­bringt er seine Super­helden­taten ganz ohne Zauber­kräfte nur dank eigener Kompe­tenzen: ein begna­deter Program­mierer und Hacker, ein gerissener Stratege und überdies ein durch­trainierter Kampf­sportler und Akrobat, der mühelos über die Dächer der palazzi rennt, Fassaden erklimmt und fremde Wohnungen gern durchs offene Fenster betritt. Nicht einmal die geheimsten Archive des Vati­kans bleiben ihm ver­schlossen.

Pulcinella-Statue in Neapel

Andererseits nimmt er die Gestalt einer traditionsreichen, in ganz Süditalien äußerst populären Figur an. Seit dem 16. Jahr­hundert treibt Pulci­nella (neapoli­tanisch: Pule­cenella), häufig mit dem Beinamen Cetrulo (neapoli­tanisch für cetriolo (Gurke), etwa »Einfalts­pinsel, Hohl­kopf«) versehen, sein amüsant verwir­rendes Unwesen in der Commedia dell’arte, auf Wander­bühnen und im Puppen­theater. Was ihn so beliebt macht – auch Goethe bewun­derte ihn –, ist sein schil­lernder, wider­sprüch­licher Charakter, die heitere Dreistig­keit, mit der er die Mäch­tigen bloß­stellt, und sein Geschick, sich allem Schlamassel lächelnd zu ent­winden. Seit eh und je sieht sich auch der Neapoli­taner gern als genau solch ein vitaler Lebens­künstler. Massimo Torre hat diese Figur (deren Name übrigens aus dem eines extra­vaganten Bauern oder Schau­spielers des 17. Jahr­hun­derts namens Puccio D’Aniello abge­leitet sein mag) neu belebt und zeitgemäß profiliert.

Wie die amerikanischen Superheroen führt Torres Prota­gonist ein Doppel­leben. Wenn er undercover in seiner Mission unter­wegs ist, agiert er unter seinem Künstler­namen, trägt dessen charak­teris­tische Kleidung und die schwarze Halb­maske mit spitzer Vogel­nase, um­tänzelt sein Gegen­über, um sie oder ihn zu ver­wirren, schlägt Saltos, springt herum, als gäbe es keine Schwer­kraft, spricht neapoli­tanischen Dialekt und ergeht sich gern in spontan erfun­denen filastrocche, reim­reichen sprach­akroba­tischen Wort­spiele­reien, die an Rap erinnern und in denen sich Sinn und Sinn­losig­keit auf irritie­rende Weise die Waage halten.

Als ›normaler‹ Bürger betreibt er unter seinem richtigen Namen Puccio D’Aniello (!) mitten im rione einen Laden, wo er als »tuttaio« alles, was ihm die Nachbarn vorbei­bringen, gegen kleines Geld repariert, vom Regen­schirm über das alte Koffer­radio bis zum Handy. Sein junger Gehilfe Diego Armando und der Pastor Don Andrea sind die einzigen, denen er anver­traut hat, dass er Pulci­nella ist.

Puccio-Pulci­nella wäre kein Neapolitaner, wenn er nicht auch voller Emotionen steckte. Er ist unsterb­lich verliebt in die bild­schöne Rosa Bellella, deren Familie von der Camorra ruiniert wurde. Leider ist er nicht der Einzige. Ciro würde sie gern in seinen Besitz bringen, und selbst der obskure stumme Serien­schläch­ter hat ein Auge auf sie geworfen. Versteht sich, dass sie in große Gefahr gerät …

Wie es sich für das Superhelden-Genre gehört, spart der Autor nicht an grau­samen Morden, Drastik und Unglaub­lichem: Einfachste Jobs über­nimmt ein gelehriger Gorilla, Pulci­nella instal­liert ein riesiges Netz aus Kameras und Troja­nern sowie ein unter­irdisches HiTech-Haupt­quartier. Das Welt­bild kommt dagegen mit den Grund­farben Schwarz und Weiß aus, und dass das mit der »Gerechtig­keit« und den Methoden, sie durchzu­setzen, ein weites Feld ist, wird immer­hin ange­deutet.

Ein allwissender Erzähler bereitet all dies solide, ziemlich trocken und ohne Um­schweife auf. Da er bei­zeiten alles selbst erklärt, was man wissen muss, bleibt die Spannungs­kurve flach, aber die Ereig­nisse selbst sorgen reich­lich für amü­siertes Staunen, Über­raschung und Schau­dern. Das partheno­peische Lokal­kolorit ist mit allen Sinnen gestaltet (z.B. »la pasta frittaun’invenzione di nonna Pina«). Kurzum: ein reiz­volles, unter­halt­sames Cross­over zwischen klassi­schem Schocker-Comic und bewährten neapoli­tanischen Literatur­traditionen.

Massimo Torre, 1958 in Neapel geboren und Drehbuch­autor für Film und Fernsehen, hat bislang drei »Pulcinella«-Romane veröffent­licht, und mit Sicher­heit lässt er weitere folgen.

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