Rezension zu »Angeli per i Bastardi di Pizzofalcone« von Maurizio de Giovanni

Angeli per i Bastardi di Pizzofalcone

von


Ein begnadeter Automechaniker wird in seiner klinisch sauberen Werkstatt erschlagen aufgefunden. Ein kleines verstörtes Mädchen hat Ohrenschmerzen – oder wird es misshandelt? Die »Bastardi di Pizzofalcone« müssen tief eindringen in das Universum von Neapel – und sind selber eine Truppe schillernder Individuen.
Kriminalroman · Teil der Serie »I Bastardi di Pizzofalcone« · Einaudi · · 246 S. · ISBN 9788806250713
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Neapel und Golf

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Starke und schwache, robuste und zerbrechliche Wesen

Rezension vom 04.05.2022 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Jahrzehntelang hat Ferdinando Iaccarino als Faktotum in Diensten der vornehmen Familie Alagna di Rocca­forte in Posillipo gestanden. Mit Mitte fünfzig erfüllt er sich einen Traum: eine eigene kleine Auto­werk­statt, spezia­lisiert auf edle Klassiker. Durch Fleiß, pedan­tische Arbeits­weise und Kompetenz (»Faceva tutto da solo, con quelle mani magiche.«) erlangt er rasch höchstes Ansehen bei den wohl­haben­den Eigen­tümern solcher Fahrzeuge. Ehe er sechzig Jahre alt ist, wird er eines Abends in der Werkstatt, die stets pingelig wie ein Operations­saal gepflegt war, ermordet, offenbar ohne Kampf und ohne dass der Täter auch nur die geringste Spur hinter­lässt. Wer könnte etwas gegen diesen Mann gehabt haben, der zwischen seinem Arbeits­platz und einem anspruchs­losen Zimmer darüber ein unauf­fälliges, geradezu mönchi­sches Leben geführt hatte? Seine einzige Ange­hörige ist Giulia, die achtund­zwanzig­jährige Tochter, die in Mailand eine steile Karriere hinlegt.

Dies ist der aktuelle Fall, den das Kommis­sariat von Pizzo­falcone unter Leitung des vice­questore Luigi Palma aufzu­klären hat, und er und seine Mitar­beiter stehen dabei unter gehörigem Druck. Denn Maurizio de Giovanni hat seiner Roman­reihe ein nach­haltiges, frucht­bares Konzept zugrunde gelegt. Es basiert auf dem Coup, dass das Kommis­sariat, unterge­bracht in einer verlot­terten Kaserne auf dem Hügel zwischen Chiaia, Santa Lucia und dem Monte­didio, durch krasses Fehlver­halten einiger Beamter stadtweit in Miss­kredit fiel. Fast alle wurden gefeuert und übergangs­weise – bis zur endgül­tigen Schlie­ßung der Station – durch Strafver­setzte aus anderen Regionen ersetzt. Das gemischte Völkchen aus höchst unter­schied­lichen Charak­teren musste sich erst zusammen­raufen, wobei Luigi Palma oft genug seine liebe Not hatte, zu moti­vieren und zu besänf­tigen, Eskapaden auszu­bügeln, auf korrektes Arbeiten und gemein­same Ziele einzu­schwören. So konnte die Mann­schaft die Schlie­ßung zwar durch gute Arbeit immer wieder abwenden, aber Missgunst und Druck von konkurrie­renden und übergeord­neten Behörden lassen nicht nach.

Indem Maurizio de Giovanni uns erzählt, wie die Ermitt­lungen voran­schreiten, ent­wickelt sich eine ganze Schar von Hand­lungs­strängen, darunter natürlich die Vita des Mord­opfers und ein umfas­sendes Porträt der Familie Rocca­forte. Unab­hängig davon sucht eine Arzt­helferin Rat bei ihrem Bekannten vom Kommis­sariat, weil eine verschüch­terte Acht­jährige womöglich Anzeichen von Miss­handlung zeigt. Die Ordens­schwester suor Giovanna, Lehrerin an einer teuren Traditions­schule, müht sich, ihren aufge­weckten Dritt­klässlern zu verdeut­lichen, was das Wesen von Engeln sei. Beacht­lichen Raum nimmt freilich ein, was die bastardi selbst bewegt.

Jede/r Einzelne/r im Team hat mindes­tens ein Päckchen zu tragen, darunter mangelnde Selbst­beherr­schung, Sperrig­keit, Sorgen um Kinder, Beziehungs­probleme, anste­hende schwie­rige Entschei­dungen, oder die Ver­gangen­heit holt sie ein – ganz normal Mensch­liches also, keine aufge­setzt-ideologi­schen Haltungs­fragen. Der Autor behält alle und alles im Blick und führt seine Figuren sorg­fältig, überzeu­gend und immer wieder über­raschend weiter. Auf diese Weise sind alle bastardi inzwi­schen zu runden Charak­teren gereift, zu guten Bekannten, deren Ent­wicklungs­gang man mit echtem Interesse verfolgt.

Anfangs mögen die unvermittelten Sprünge verwirren, mit denen uns jedes neue Kapitel in einen anderen Kontext wirft, bis sich heraus­kristalli­siert, welcher Handlungs­strang fortge­führt wird und was Gegenwart, was Ver­gangen­heit ist. Dagegen braucht, wer in einen späten Band wie diesen einsteigt, keine Sorge zu haben, in eine geschlos­sene Gesell­schaft versetzt zu werden. Wann immer nötig, rekapitu­liert der Erzähler im erforder­lichen Umfang die Vorge­schichte, ehe er sie dann wieder ein Stückchen weiter­führt.

Selten ist ein Buchtitel derart wortwört­lich mit der Erzählung verfloch­ten wie hier. Tatsäch­lich taucht das Wortfeld »angeli« in allen Bedeutungs­schattie­rungen auf, sowohl in religiö­sen Zu­sammen­hängen als auch in metapho­rischer Über­tragung, als liebe­volle Benennung, als Zeichen der Anerken­nung, Wert­schätzung, Ehr­erbie­tung (»Iaccarino era un genio. Anzi, di piú, perché faceva miracoli. Era … un angelo.«). Frappie­rend sind die Über­legungen und Speku­lationen der Kinder, ob in suor Giovannas Unter­richt, in Gesprä­chen unter­einander oder in ihren Gedanken. Da vermi­schen sich kreative Fantasie, freche Provo­kations­lust, prakti­sche Vernunft (»Come riusci­vano gli angeli a fare il loro mestiere?«) und Bildung­serfahrun­gen (die Einflug­schneise für »angelo Batman, un angelo Uomo Ragno, un angelo Superman«).

Neben der reizvollen Gestaltung interessanter Plots gefällt mir bei de Giovanni (selbst gebür­tiger Neapoli­taner), wie er die Atmos­phäre der Stadt in Szene setzt. Hier ist der zeitliche Rahmen Ende September, noch immer drückt die Hitze hoch­sommer­licher Tage. Die Handlung taucht uns mitten ins bunte Alltags­gesche­hen auf den Straßen, in Villen, Geschäf­ten, Ämtern, Kranken­häusern. In diesen Passagen hebt de Giovanni, groß­artiger Menschen­kenner und scharfer Beob­achter, kleine Zeichen heraus und gestaltet sie markant.

So ist ein avvocato ungehalten, weil man am Empfang des Kranken­hauses seine Termin­buchung nicht findet. »La platea dei pazienti si godeva lo spetta­colo, girando le teste dall’uno all’altra come in un match di tennis al Foro Italico. Il tizio deglutí e si giocò l’ultima carta. […] La donna indurí la già rigida mandibola e, dopo aver rivolto all’uomo uno sguardo carico di disgusto, tornò a concen­trarsi sulla lista. Il pubblico, tacitato dall’interes­sante batti­becco, attese trepi­dante il responso tifando per il donnone odiato fino a un minuto prima.«

Neapel ist eine vitale Großstadt, die man lieben oder hassen kann. De Giovannis Porträt ist partei­isch, aber nicht einseitig. Es legt offen, dass jeder poli­ziotto hier in einer zona grigia operiert, »fatta di lavoro nero, di mancati scontrini fiscali e di parziale registra­zione della merce in entrata. Gente tendenzial­mente onesta che soprav­viveva in maniera disonesta, insomma: parcheg­giatori abusivi, ambulanti, commer­cianti di alimenti di molto prossima o già inter­venuta scadenza, risto­ratori non a norma, piccole imprese edili con muratori clan­destini, percet­tori di sussidi in grado di lavorare; una popola­zione che provava disagio in sua presenza. […] Pizzo­falcone era tutt’altro che un paradiso, anzi: sapeva diventare un inferno con tale velocità da lasciar dubitare che fosse mai stato altro. C’erano tante cose da riparare, sistemare. Come i giovani che, in orario scolas­tico, se ne stavano seduti ai tavolini del bar a fumare e discutere in dialetto stretto, e poverina la ragazza che passava lí davanti. Eppure, fra tante realtà da correg­gere, quel quartiere era l’unico luogo dove Giorgio si sentiva a posto. Altrove, per bello che fosse, località di vacanza con mare e sole o mera­vigliose montagne innevate, di fronte a fumanti piatti di spaghetti con le cozze o sugli spalti di fan­tastici anfi­teatri, poteva pure stare bene, ma senza mai perdere la con­sapevo­lezza della provvi­sorietà. Lui era uno di Pizzo­falcone.«


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