Rezension zu »I sogni belli non si ricordano« von Carlo Verdelli

I sogni belli non si ricordano

von


Erzählungen · Garzanti · · 229 S. · ISBN 9788811682868
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Italien

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Kein Kinderkram ...

Rezension vom 15.03.2014 · noch unbewertet · noch unkommentiert

... sondern interessante Literatur findet sich unter dem süßlichen Umschlagbild. Die teaser-Texte (»Perché tutti, davvero tutti, siamo stati bambini.« – »Tu sei tutti i bambini e le bambine di questo libro.«) lassen er­warten, dass Carlo Ver­del­li »i sogni belli« in Erinnerung rufen, also putzige Anekdoten vortragen und Kin­dermund plappern lassen werde. Mitnichten.

Der junge Mechaniker »Valvoline« kann nicht fassen, dass sein Idol, der Radrennfahrer Antonio Meneghi­ni, sich erhängt hat; seinem schlichten Leben entzieht die unergründliche Tat den Boden, und zwischen Un­ver­stan­den­heit, Selbstüberschätzung und unerfüllten Erwartungen geht er selber tragikomisch unter.

»La signorina Paperi« erzählt von einer Frau, die ihren eigenen hochgesteckten Zielen nicht gerecht wer­den kann. Schon als kleines Mädchen von der Aura einer Heiligen umgeben, wird ihre freilich eher ri­tu­el­le Frömmigkeit unversehens desillusioniert, was sie dann der Welt zutreibt. Aber auch dort wird sie ent­täuscht. Schließlich zieht sie in ihrer Wohnung eine junge Gans groß; doch auch diese Aufgabe wächst ihr über den Kopf, und die Gans bezahlt den Preis,

In der anrührendsten Geschichte fasst ein kleines Mädchen natürliches Zutrauen zu einem barbone, der auf den Stufen vor dem ipermercato hockt. Mit der »leggerezza di una farfallina« kann sie die Kluft zwi­schen ihrer behüteten Wohlstandswelt und seinem Flüchtlingselend noch fast mühelos überbrücken; ihre mami hingegen, wiewohl permanent am telefonino kommunizierend, entzieht sich direkter Zwi­schen­mensch­lich­keit.

Askanu, ein äthiopischer Junge, erzählt (unterbrochen durch Lexikonauszüge und Statistiken), wie er mit seiner kleinen Schwester aus seiner Heimat nach Norditalien gelangt, adoptiert wird und doch seine Wur­zeln und Werte verteidigt (»il bambino salmone«).

»Il primo giorno di scuola« – die Entzauberung eines Schuleintritts in den Fünfziger, Sechziger Jahren – endet mit einem deftigen »basta con le scemenze« als Fazit.

Die vierundzwanzig Erzählungen und acht Gedichte decken thematisch, literarisch und formal ein breites Spektrum ab. Es geht immer wieder um Macht (»Pigio, striscio un po' e addio formica. Ne so qualcosa perché, per molto tempo, io sono stato formica.«), gefährdete oder zerstörte Träume, Sein versus Schein und natürlich auch um frühe Liebe.

Wir lesen, wie die kleinen Helden mit Missgunst (»i fiori troppo belli danno sempre un po' di fastidio alle erbe cipolline«) und Enttäuschungen fertig werden, vor allem aber akkumulieren einige zunächst still Lei­dende mit der Zeit Widerstandskraft und Stärke (»Ho imparato a odiare.«) – andere dagegen scheitern (»Chi vince esulta, chi perde spiega.«).

»Sogni belli«? In Carlo Verdellis kurzen Geschichten sind Gut und Böse, Schön und Hässlich durchmischt wie im richtigen Leben, und oft genug erwächst das Eine aus dem Anderen. Deswegen können wir uns in den Kindergeschichten wiederfinden.

Carlo Verdelli ist nördlich der Alpen unbekannt, aber in seinem Heimatland eine anerkannte und vielsei­tige Kapazität: Der Journalist (57) profilierte sich als Chef bzw. Vize der Institutionen »La Gazzetta dello Sport« und »Corriere della Sera« und hat die italienische Ausgabe von »Vanity Fair« erfolgreich im Markt etabliert. Derzeit arbeitet er für »La Repubblica«. Dieser Hintergrund schlägt bei seinem Erstling im Metier der Fiktion durch. Der Autor schöpft aus einem ausgedehnten Materialfundus: Sport, moderne Filme, Werke der Welt­lite­ra­tur, die Bibel, antike Mythologie (köstlich die witzig-flapsig-pointierten Nacherzäh­lungen klas­si­scher Stoffe von der schwierigen Wahl des Paris bis zu Rosaspina/Dornröschen!). Die Bil­derwelt, die er schafft, ist reich und originell (die Zähnchen der kleinen Scilia: »più che perfetti, come i verbi latini che si stu­dia­va­no a scuola ... bianchi e allineati come i cadetti di Westpoint«; »il gatto sogliola«: »un gatto così magro che neanche Giacometti avrebbe osato tanto«). Eine besondere Rolle in der Metapho­rik spielen immer wieder Tiere.

Zum größten Teil sind die Handlungen im realen Italien der letzten fünf, sechs Jahrzehnte geerdet, der kind­liche Alltag ist realistisch beobachtet und die Erzählhaltung konventionell gestaltet (an uns ex-bambini ge­richtet; »Ma aspettate, il bene viene adesso.«). Der Ton der meisten Erzählungen klingt teils heiter, teils bitter, teils ironisch, bisweilen auch melancholisch.

Aber je weiter wir lesen, desto stärker bricht die fantastische Ader des Autors durch. Schon »Porco Giuda« (Text 9) beginnt als sarkastische narrative Abhandlung über Schimpfwörter, um aber schließlich auszu­ufern in ein irrwitziges Szenarium voller religiöser Symbolik (Judas, Silberlinge, Verrat) und Zahlenmagie. Mit sicht­lichem Vergnügen lässt Verdelli manche Geschichten umschlagen in surrealistisch-absurd anmu­tende Szenen, die in tiefere Schichten vordringen und an »The Wall« von Pink Floyd ebenso denken lassen wie an Kafka oder Alice in Wonderland (»Bisogna saper vincere, non sempre si può perdereee«, fasst »la pe­co­ra« den Nutzen des Führerscheins für Träume zusammen.).

Im einzigen wahren Albtraum hält eine mitleidlose Richterin Gericht über »il bambino, smorto di vergogna e di paura«. Sein Geständnis – »Ho tradito mia madre.« – nützt ihm ebenso wenig wie Einsicht und Reue. Dies ist eine Art Jüngstes Gericht (»La giustizia è per sempre.«) der Mütter gegen ihre Söhne (oder der Frauen über die Männer?), und der Urteilsspruch ist vernichtend ...


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