Rezension zu »Storie di Natale« von Camilleri, Calaciura, Manzini, Stassi u.a.

Storie di Natale

von


Sieben außergewöhnliche Erzählungen ganz unterschiedlichen Charakters
Weihnachtliches · Teil der Serie »Weihnachtliches« · Sellerio · · 304 S. · ISBN 9788838942983
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Italien

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Taschenbuch

Ein Weihnachtsbuch für Italien-Fans (in italienischer Sprache)

Rezension vom 15.12.2021 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Wir wissen alle, was uns wahrschein­lich erwarten wird, wenn wir ein »Weih­nachts­buch« auf­schlagen: Christ­baum­kugeln, Kinder­augen, Gänse­braten, Wohlge­fallen, Tannen­baum, Kerzen­schein, Engels­haar und Lob­gesang garnieren eine rühr­selige, sarkas­tische, mehr oder weniger lustig oder spannend konstru­ierte Handlung, die in der Weih­nachts­zeit spielt und idealer­weise am Heiligen Abend kulmi­niert.

Wie aber ist das in Italien? Dieses Buch gibt uns einen interes­santen, uner­wartet breiten Einblick, denn jede seiner sieben Geschich­ten (alle von nam­haften Autoren und litera­risch hoch­wertig) hat einen ganz eigenen Charakter und unter­scheidet sich grund­sätzlich von den anderen. Gemeinsam ist ihnen nur, dass den Protago­nisten just zu Weih­nachten Entschei­dendes in ihrem Leben wider­fährt. Religiöse Bezüge spielen allen­falls eine Neben­rolle, von Gefühls­duselei und romanti­schem Kitsch fehlt jede Spur.

Und natürlich tragen sich alle irgendwo in Italien zu. Deswegen lernen wir beim Lesen beiläufig die Rituale, Floskeln, Stim­mungen, Speisen, Mythen, Tradi­tionen kennen, die die Menschen zur Weih­nachts­zeit erwarten, sich wünschen, lieben oder hassen.

Die Sammlung erschien erstmals im Jahr 2016, wurde 2021 neu aufgelegt und wird sicher alle Jahre wieder im Sellerio-Programm auftau­chen.

Andrea Camilleri: I quattro Natali di Tridicino

Gleich die erste Erzählung kappt alle Leinen zu nord­europäi­scher Bildlich­keit. Auch am Heiligen Abend müssen die Fischer von Vigàta hinaus aufs Meer fahren, all ihre Kraft und Ge­schicklich­keit gegen Wind, Brandung und Strömung einsetzen, auf einen guten Fang und gesunde Heimkehr hoffen. Vor diesem Hinter­grund breitet Camilleri eine Familien­geschichte aus, die von märchen­haften und natur­mythi­schen Elementen bestimmt wird. Der Fischer­junge Tridi­cino (von »tredice­simo« – das drei­zehnte Kind seiner Eltern) hat unge­wöhn­liche Bega­bungen und Eigen­schaften, die ihn befähigen, Be­währungs­proben zu bestehen, die sich ihm auf und unter dem Wasser stellen. Ein alter Fischer vermacht ihm das Geheimnis, wie man eine »dragunara« (Wasser­hose?) ihrer zer­störeri­schen Kraft beraubt, aus der Tiefe kann er eine große Muschel bergen, die wunder­same Klänge erzeugt, und er muss sich der Heraus­forderung eines geheimnis­vollen Riesen­polypen in seiner Höhle stellen. An vier Weih­nachts­tagen in seinem Leben schafft Tridicino so die Grund­lagen für Glück und Wohlstand für sich und die Seinen.

Giosuè Calaciura: Santo e Santino

Santino liebt seinen großen Bruder, obwohl der sein Leben nicht einfach macht. Santo ist fröhlich, ungestüm, befremd­lich und abstoßend, manchmal alles zugleich. Er muss nicht nur umfassend versorgt werden, sondern sein unbe­rechen­bares Handeln erfordert dauernde Aufmerk­samkeit. Ständig sind Konflikte zu lösen, Missge­schicke zu vermeiden, Gefahren abzu­wenden. So dreht sich das Familien­leben haupt­sächlich um den Behin­derten, und auch Santino muss seine Bedürf­nisse oft zurück­stecken. Die Eltern vertrauen auf sein Ver­ständnis und sein Verant­wortungs­bewusst­sein, während Santo all seine spontanen Launen unge­bremst auslebt. Kann ein Junge, selbst wenn er so ver­nünftig und fürsorg­lich ist wie Santino, solche Span­nungen aushalten?

Antonio Manzini: Babbo Natale

Eine turbulente Posse um einen gebeu­telten römi­schen Loser-Typ, der, nachdem ihm die Freundin abhanden gekommen ist, alles auf die geniale Idee setzt, sich unter die Weih­nachts­männer zu mischen, die derzeit sämt­liche Fassaden empor­klettern. Die irrwit­zige Handlung schleust uns voller Über­raschun­gen durch die unter­schied­lichs­ten Milieus der Ewigen Stadt und lässt dem Protago­nisten keine Chance. Dank unglück­licher Zufälle, seiner eigenen Unzu­länglich­keiten und der Souve­ränität der Besser­gestell­ten verhed­dert er sich gründlich. Neben Fassungs­losig­keit über seine Torheit und Schaden­freude wegen seiner Selbst­überschät­zung bleibt uns ein Hauch Bewun­derung für sein Stehver­mögen und eine Spur Mitleid.

Fabio Stassi: A poco a poco tutto torna al Monte dei Pegni

Weitere Rezensionen von
Büchern und Musik-CDs
für die Advents- und Weihnachtszeit
finden Sie hier.

Von ganz anderer Art ist die fein­fühlige Geschichte von Fabio Stassi, die in den frühen Jahren des italieni­schen Faschis­mus ange­siedelt ist. In einer langen Kette asso­ziativ verbun­dener Szenen und Reflexio­nen blickt ein politi­scher Gefan­gener auf sein Leben und sein Schicksal. Die Erzähl­situation ist die Über­führung der Gefan­genen­gruppe von Palermo auf die Gefängnis­insel Ustica. Kristal­lisations­punkte sind seine Tätigkeit als Kino­pianist, sein Verhält­nis zur Akti­vistin Lisa und ihrer Schwanger­schaft und, da Weih­nachten ist, die Geschichte von Josef und Maria, die er als Menschen in ihrer Zeit begreift: Ein Mann im vorge­rückten Alter hat ein junges Mädchen, dem ein Missge­schick zuge­stoßen war, bei sich aufge­nommen. All dies – das Meer, Politik, Liebe, Musik, Poesie, Gefangen­schaft – fügt sich dank Stassis wunder­barem Stil zu einem stimmi­gen Bild voller Nuancen.

Francesco M. Cataluccio: La metamorfosi del Natale

Der arme Angestellte Felice Settembrini wird auser­sehen, ein Restau­rant für die Beleg­schafts­weih­nachts­feier auszu­wählen – ein aussichts­loses Unter­fangen in Mailand eine Woche vor dem Fest. So flutscht er von einem Lokal ins andere und erlebt dabei Unerklär­liches.

Francesco Recami: Natale con i tuoi

Flughafen Bologna am 24. Dezember nach­mittags. Schnee­fall setzt ein und nimmt drama­tisch zu. Der Check-in für den Flug nach Palermo lässt auf sich warten, Informa­tionen bleiben aus, dafür schwirren Gerüchte. Ein­hundert­vierzig Personen verlieren nach und nach alle Hemmun­gen. Alle wollen am Abend um jeden Preis irgendwo in Sizilien mit ihren Lieben Weih­nachten feiern. Als der Flug endlich gecancelt wird, bricht ein Chaos aus, das Fran­cesco Recami wie ein Feuer­werk abfeuert. In unzäh­ligen Moment­aufnah­men mensch­licher Verhal­tens­weisen und Äuße­rungen bekom­men alle Charakter­typen, Schichten, Regio­nen und Dialekte ihre Bühne, wobei Egois­men, Macht­fragen, Unver­nunft und Absurdi­täten den Ton angeben. Die irr­witzige Handlung führt schließ­lich zu einer tief einge­schnei­ten Auto­bahn­rast­stätte (wo dem Autor meinem Empfinden nach ein wenig die drama­turgi­sche Luft ausgeht). Der Titel zitiert die italieni­sche Redens­art »Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi«, die fest­hält, dass zu Ostern jeder frei entschei­den darf, mit wem man feiert, während man das Weih­nachts­fest im Familien­kreis zu ver­bringen habe.

Alicia Giménez-Bartlett: Natale d’ottobre

Alles was Francisco für das Weih­nachts­fest geplant und gehofft hatte, zerplatzt mit dem Anruf seiner Ex-Frau. Sie teilt ihm mit, dass ihr gemein­sames Töchter­chen erkältet sei und ihn nicht besuchen werde. Punkt. So bricht über ihn eine Welle von Gefühlen herein (»frustra­zione, rabbia, tristezza, delusione, incre­dulità, angoscia«) und vermengt sich mit den bitteren Erinne­rungen an die unglück­liche Ehe, an Strenge und Verständnis­losigkeit des Vaters, an seine Arbeit. Aber Francisco ist nüchtern und stabil genug, sich nicht unter­kriegen zu lassen. Er wird den Abend zubringen wie vorge­sehen, nur eben alleine. Doch dann steht eine Unbe­kannte vor der Tür, deren Wesen ihm gänzlich fremd ist – und die am Ende dennoch »lo spirito del Natale« verkör­pern wird.


Weitere Artikel zu der Serie Weihnachtliches bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »24 x Charles Dickens für den Advent«

go

Rezension zu »Carl Tohrbergs Weihnachten«

go

Rezension zu »Das Geheimnis des Weihnachtspuddings«

go

Rezension zu »Das Mädchen, das Weihnachten rettete«

go

Rezension zu »Das Weihnachtsgeschenk und andere Weihnachtsgeschichten«

go

Rezension zu »Das Weihnachtsmarktwunder«

go

Rezension zu »Den Nächsten, der Frohe Weihnachten zu mir sagt, bringe ich um«

go

Rezension zu »Die großen romanischen Kirchen in Köln«

go

Rezension zu »Die Schneeschwester – Eine Weihnachtsgeschichte«

go

Rezension zu »Die Weihnachtsgeschwister«

go

Rezension zu »Diesmal schenken wir uns nichts: Geschichten für eine entspannte Weihnachtszeit«

go

Rezension zu »Eine Art Bescherung«

go

Rezension zu »Frontal - Häuserfronten«

go

Rezension zu »Geheimnis in Rot«

go

Rezension zu »Geheimnis in Weiß«

go

Rezension zu »Gott baut um«

go

Rezension zu »Herzfaden: Roman der Augsburger Puppenkiste«

go

Rezension zu »Irgendwo ist immer jemand, der dich liebt«

go

Rezension zu »Italien um 1900. Ein Porträt in Farbe«

go

Rezension zu »Jul Morde«

go

Rezension zu »Maria, Mord und Mandelplätzchen«

go

Rezension zu »Mit dem Schnee kommt der Tod«

go

Rezension zu »Morgen, Klufti, wird’s was geben«

go

Rezension zu »Nikolausi«

go

Rezension zu »Plötzlich Bescherung und andere (un)weihnachtliche Geschichten«

go

Rezension zu »Schöne Bescherung – Hinterhältige Weihnachtsgeschichten«

go

Rezension zu »Schweig!«

go

Rezension zu »Sternstunde«

go

Rezension zu »Tatort Tannenbaum«

go

Rezension zu »Tödliche Weihnachten«

go

Rezension zu »Und Gott sprach: Du musst mir helfen!«

go

Rezension zu »Weihnachtsherzen«

go

Rezension zu »Weihnachtsmann - was nun?«

go

Rezension zu »Wie der Weihnachtsbaum in die Welt kam«

go

Rezension zu »Winterwind«

go

Rezension zu »Zwei Zebras in New York«

go

Rezension zu »Zwetschgermännla-Morde - 14 Kurzkrimis aus Franken zur Weihnachtszeit«

go

Weitere Artikel zu Büchern aus der Region Italien bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Albergo Italia«

go

Rezension zu »Auf der Suche nach Italien«

go

Rezension zu »Berlin liegt am Mittelmeer: Eine imaginäre Reise durch Europa«

go

Rezension zu »Bleiernes Schweigen«

go

Rezension zu »Correva l'anno del nostro amore«

go

Rezension zu »Das Leben hält sich nicht ans Alphabet«

go

Rezension zu »Der Duft von Erde und Zitronen«

go

Rezension zu »Dolce Vita für Fortgeschrittene«

go

Rezension zu »Erkennst du mich«

go

Rezension zu »I sogni belli non si ricordano«

go

Rezension zu »Il superstite«

go

Rezension zu »L'ora di pietra«

go

Rezension zu »L'ottava vibrazione«

go

Rezension zu »Letteratura italiana: Da Francesco d'Assisi a Paolo Giordano«

go

Rezension zu »Meine erste Lüge«

go

Rezension zu »Profumo d'Italia | Ein Hauch Italien«

go

Rezension zu »Schwestern«

go

Rezension zu »Stanno tutti bene tranne me«

go

Rezension zu »Teo«

go

Rezension zu »Wenn ich wiederkomme«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Storie di Natale« von Camilleri, Calaciura, Manzini, Stassi u.a.
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Taschenbuch


Kommentare

Zu »Storie di Natale« von Camilleri, Calaciura, Manzini, Stassi u.a. wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top