Rezension zu »Wenn ich wiederkomme« von Marco Balzano

Wenn ich wiederkomme

von


Eine Rumänin verlässt ihre Heimat, um sich in Italien als Pflegekraft zu verdingen. Sie und ihre Familie müssen einen hohen Preis bezahlen.
Belletristik · Diogenes · · 320 S. · ISBN 9783257071702
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Italien

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Der Preis der Hoffnung

Rezension vom 26.02.2022 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Wer in Deutschland pflegebedürftige ältere Angehö­rige nicht selbst rund um die Uhr versorgen kann oder will, hat im Prinzip zwei Möglich­keiten: Man sucht einen Platz in einem Heim oder engagiert eine 24-Stunden-Pflege­kraft. Ein­heimi­sches Fachper­sonal ist rar und wegen der arbeits­recht­lichen Vorgaben teuer, weswegen gute Einrichtungen ihren Preis haben. Eine Einzel­person für exklusive Rund­umbetreu­ung können sich nur Reiche leisten. So sind die Sorgen um die Alten in vielen Familien groß: Wie viel Sorgfalt und Zuwendung erlaubt der Geld­beutel? Einen hoch will­komme­nen Ausweg bieten die vielen Menschen (meist Frauen) aus Osteuropa, die für ein paar Wochen in die Wohnung der Senioren einziehen und Tag und Nacht für sie da sind. Auch diese Lösung hat in drei­facher Hinsicht einen hohen Preis. Wer die Pflege­kräfte anheuert, muss immer noch vier­stellige Beträge auf­bringen. Die Betreu­enden sind lange Wochen fern der Heimat und auf sich gestellt. Juris­tisch ist das Ganze heikel und nur prakti­kabel, weil unser Staat mangels einer konse­quent mach- und finanzier­baren Lösung die Augen ver­schließt.

Originalausgabe:
»Quando tornerò«
(2021, Verlag Einaudi)
Marco Balzano: »Quando tornerò« auf Bücher Rezensionen
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Mit diesem komplexen Problemkreis setzt sich Marco Balzano in seinem neuen Roman »Quando tornerò« (übersetzt von Peter Klöss) ausein­ander, denn die Pflege­situation ist in seinem Heimat­land nicht weniger prekär als bei uns. Aller­dings kommen die meisten Hilfs­kräfte dort aus Rumänien, und auf deren Lage konzen­triert sich Balzanos Blick. Wenigs­tens können sie sich passabel mit den Einheimi­schen verstän­digen, denn ihre Sprachen ähneln einander – ganz anders als Deutsch und die ost­europäi­schen Sprachen, die nichts gemeinsam haben.

Dabei ist doch gerade der familiäre Zusammen­halt der Italiener so berühmt und rühmens­wert, dass man gar nicht glauben mag, der Bedarf an fremden Pflegern sei ebenso dringend wie andern­orts. Lange waren Groß­eltern, Großonkel und Tanten inmitten ihrer Familien doch bestens aufge­hoben, nahmen selbst­verständ­lich an deren Leben teil, trugen dazu bei, so lange sie es konnten, und verbrach­ten den Rest ihrer Zeit auf ihren rusti­kalen Stühlen vor dem Haus oder in der Küche. Aber die Erfor­dernis­se der globali­sierten Welt, gesell­schaft­liche Verände­rungen, schwin­dende religiöse Über­zeugun­gen und neu defi­nierte Ge­schlech­terrol­len sowie die Möglich­keit der Geburten­kontrolle haben alte Tradi­tionen aufge­brochen. Die Auflösung der Familien­struktu­ren ist ein pan­europä­isches Thema und in der Folge auch die Arbeits­migra­tion von Pflege­kräften.

In seinen Nachbemerkungen schreibt der Autor, dass er sich für seinen Roman intensiv mit Pflege­kräften, Histori­kern, Polito­logen und Sozio­logen unter­halten habe. Dabei seien ihm die schwer­wiegen­den Belas­tungen deutlich geworden, die die im Ausland arbei­tenden Frauen für sich selbst und ihre in der Heimat zurück­gelasse­nen Familien hinnehmen – ein in der Öffent­lichkeit vernach­lässigtes, für den Autor um so drängen­deres Thema.

Das Konzept, das Marco Balzano nun für seinen Roman wählte, liegt nahe – und ist zugleich seine litera­rische Schwäche. Er erzählt beispiel­haft von Daniela Matei, 47, die ihre Familie im Osten Rumäniens verlässt, um in Italien Geld zu verdienen. In ihrem abgele­genen Heimat­dorf, von Land­flucht dezimiert, findet ihr Ehemann Filip, ein Hilfs­arbeiter, nur gelegent­lich Arbeit. Seine beschei­denen Löhne reichen vorne und hinten nicht, um den Eltern, Tochter Angelica, Sohn Manuel und den Groß­eltern den Lebens­unter­halt zu sichern. Die Ehe ist zerrüttet. Eines Morgens setzt sie sich ab. Ein Brief lässt die Familie wissen, dass sie in Mailand als Pflege­kraft arbeiten wolle und ihr Verdienst nach Hause schicken werde, wo es vor allem den beiden Kindern eine solide schuli­sche Aus­bildung und eine bessere Zukunft ermög­lichen solle.

Doch stürzt die Familie nun erst recht ins Elend. Der Vater steuert LKWs durch Osteuropa und kommt nicht mehr nach Hause. Angelica übernimmt die Aufgaben der Mutter. Der acht Jahre jüngere Manuel ent­wickelt sich zum Außen­seiter, schwänzt die Schule. Mit dem Tod des Groß­vaters, der ein Anker in seinem Dasein war, stirbt auch ein Stück seines Lebens­willens. Nach einem Motorrad­unfall fällt Manuel ins Koma, und Daniela kehrt nach Hause zurück.

Aus Angelicas Perspektive erfahren wir, dass die Mutter für ihre einsam gefällte Entschei­dung und deren Folgen weder Dankbar­keit noch Verständ­nis erntet, sondern nur Wut. In einem heftigen Disput prallen gegen­seitige Vorwürfe aufein­ander. Zwar profi­tiert Angelica vom Verdienst in Italien, aber die Familie – insbe­sondere Manuel – bezahlt einen zu hohen Preis für den Auslands­einsatz der Mutter. Selbst Daniela hatte sich ihr Leben anders vorge­stellt. Mit ihren schwie­rigen Erleb­nissen in verschie­denen Haus­halten musste sie vier Jahre lang alleine fertig werden. Jetzt macht sie sich in den unend­lichen Stunden und Tagen des Wartens und Hoffens am Bett ihres Sohnes Notizen, damit sie ihm später davon erzählen kann.

Die Tätigkeit einer Pflegekraft ist anstren­gend und wird oft als unattrak­tiv und unästhe­tisch empfunden, weswegen wir sie zusammen mit dem Altern, dem Leid und dem Sterben gerne verdrän­gen, anstatt ihr die verdiente Wert­schät­zung zu erweisen. Marco Balzano tut gut daran, dies dem Publikum vor Augen zu führen und den Finger in offene Wunden zu legen. Doch indem er die übelsten Aus­prägun­gen des weit verbrei­teten Beschäf­tigungs­modells anpran­gert, polemi­siert er auch. Seine Schilde­rungen klammern aus, dass die Pflegen­den aus dem Ausland vielen Menschen der älteren und der jüngeren Gene­ration dringend benötigte Erleich­terung bringen und sie diesen Dienst in der Regel durchaus so gestalten können, dass sie ihre eigenen Bedürf­nisse nicht zu ver­nachlässi­gen brauchen.

Arbeitsmigration ist ein globales Phänomen, das allen Beteiligten Vor- und Nach­teile bringt. In den reichen Ländern profi­tiert man von Dienst­leistun­gen und Produkten, die aus eigenen Ressour­cen nicht zu beschaf­fen wären. Die Migranten erhalten bessere Verdienst­möglich­keiten als in ihrer Heimat, müssen dafür aber oft schwer zu verkraf­tende Lebens­bedingun­gen hinnehmen. Mit den nach Hause fließen­den Ein­künften verbes­sern sie dort den Lebens­standard, was wiederum Arbeits­willige aus noch ärmeren Ländern anzieht. Mit seinem eindring­lichen Plot setzt Bolzano aller­dings ein auf Effekt zuge­spitztes Einzel­beispiel in Szene, welches illus­triert, zu welch dramati­schen Konse­quenzen Arbeits­migration im privaten Bereich führen kann, und bedient damit das Klischee eines modernen Sklaven­tums. Das ist ein legitimes literari­sches Verfahren, aber der Roman büßt damit an Diffe­renziert­heit und Repräsen­tativität ein.


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