Wenn ich wiederkomme
von Marco Balzano
Eine Rumänin verlässt ihre Heimat, um sich in Italien als Pflegekraft zu verdingen. Sie und ihre Familie müssen einen hohen Preis bezahlen.
Der Preis der Hoffnung
Wer in Deutschland pflegebedürftige ältere Angehörige nicht selbst rund um die Uhr versorgen kann oder will, hat im Prinzip zwei Möglichkeiten: Man sucht einen Platz in einem Heim oder engagiert eine 24-Stunden-Pflegekraft. Einheimisches Fachpersonal ist rar und wegen der arbeitsrechtlichen Vorgaben teuer, weswegen gute Einrichtungen ihren Preis haben. Eine Einzelperson für exklusive Rundumbetreuung können sich nur Reiche leisten. So sind die Sorgen um die Alten in vielen Familien groß: Wie viel Sorgfalt und Zuwendung erlaubt der Geldbeutel? Einen hoch willkommenen Ausweg bieten die vielen Menschen (meist Frauen) aus Osteuropa, die für ein paar Wochen in die Wohnung der Senioren einziehen und Tag und Nacht für sie da sind. Auch diese Lösung hat in dreifacher Hinsicht einen hohen Preis. Wer die Pflegekräfte anheuert, muss immer noch vierstellige Beträge aufbringen. Die Betreuenden sind lange Wochen fern der Heimat und auf sich gestellt. Juristisch ist das Ganze heikel und nur praktikabel, weil unser Staat mangels einer konsequent mach- und finanzierbaren Lösung die Augen verschließt.
Mit diesem komplexen Problemkreis setzt sich Marco Balzano in seinem neuen Roman »Quando tornerò« (übersetzt von Peter Klöss) auseinander, denn die Pflegesituation ist in seinem Heimatland nicht weniger prekär als bei uns. Allerdings kommen die meisten Hilfskräfte dort aus Rumänien, und auf deren Lage konzentriert sich Balzanos Blick. Wenigstens können sie sich passabel mit den Einheimischen verständigen, denn ihre Sprachen ähneln einander – ganz anders als Deutsch und die osteuropäischen Sprachen, die nichts gemeinsam haben.
Dabei ist doch gerade der familiäre Zusammenhalt der Italiener so berühmt und rühmenswert, dass man gar nicht glauben mag, der Bedarf an fremden Pflegern sei ebenso dringend wie andernorts. Lange waren Großeltern, Großonkel und Tanten inmitten ihrer Familien doch bestens aufgehoben, nahmen selbstverständlich an deren Leben teil, trugen dazu bei, so lange sie es konnten, und verbrachten den Rest ihrer Zeit auf ihren rustikalen Stühlen vor dem Haus oder in der Küche. Aber die Erfordernisse der globalisierten Welt, gesellschaftliche Veränderungen, schwindende religiöse Überzeugungen und neu definierte Geschlechterrollen sowie die Möglichkeit der Geburtenkontrolle haben alte Traditionen aufgebrochen. Die Auflösung der Familienstrukturen ist ein paneuropäisches Thema und in der Folge auch die Arbeitsmigration von Pflegekräften.
In seinen Nachbemerkungen schreibt der Autor, dass er sich für seinen Roman intensiv mit Pflegekräften, Historikern, Politologen und Soziologen unterhalten habe. Dabei seien ihm die schwerwiegenden Belastungen deutlich geworden, die die im Ausland arbeitenden Frauen für sich selbst und ihre in der Heimat zurückgelassenen Familien hinnehmen – ein in der Öffentlichkeit vernachlässigtes, für den Autor um so drängenderes Thema.
Das Konzept, das Marco Balzano nun für seinen Roman wählte, liegt nahe – und ist zugleich seine literarische Schwäche. Er erzählt beispielhaft von Daniela Matei, 47, die ihre Familie im Osten Rumäniens verlässt, um in Italien Geld zu verdienen. In ihrem abgelegenen Heimatdorf, von Landflucht dezimiert, findet ihr Ehemann Filip, ein Hilfsarbeiter, nur gelegentlich Arbeit. Seine bescheidenen Löhne reichen vorne und hinten nicht, um den Eltern, Tochter Angelica, Sohn Manuel und den Großeltern den Lebensunterhalt zu sichern. Die Ehe ist zerrüttet. Eines Morgens setzt sie sich ab. Ein Brief lässt die Familie wissen, dass sie in Mailand als Pflegekraft arbeiten wolle und ihr Verdienst nach Hause schicken werde, wo es vor allem den beiden Kindern eine solide schulische Ausbildung und eine bessere Zukunft ermöglichen solle.
Doch stürzt die Familie nun erst recht ins Elend. Der Vater steuert LKWs durch Osteuropa und kommt nicht mehr nach Hause. Angelica übernimmt die Aufgaben der Mutter. Der acht Jahre jüngere Manuel entwickelt sich zum Außenseiter, schwänzt die Schule. Mit dem Tod des Großvaters, der ein Anker in seinem Dasein war, stirbt auch ein Stück seines Lebenswillens. Nach einem Motorradunfall fällt Manuel ins Koma, und Daniela kehrt nach Hause zurück.
Aus Angelicas Perspektive erfahren wir, dass die Mutter für ihre einsam gefällte Entscheidung und deren Folgen weder Dankbarkeit noch Verständnis erntet, sondern nur Wut. In einem heftigen Disput prallen gegenseitige Vorwürfe aufeinander. Zwar profitiert Angelica vom Verdienst in Italien, aber die Familie – insbesondere Manuel – bezahlt einen zu hohen Preis für den Auslandseinsatz der Mutter. Selbst Daniela hatte sich ihr Leben anders vorgestellt. Mit ihren schwierigen Erlebnissen in verschiedenen Haushalten musste sie vier Jahre lang alleine fertig werden. Jetzt macht sie sich in den unendlichen Stunden und Tagen des Wartens und Hoffens am Bett ihres Sohnes Notizen, damit sie ihm später davon erzählen kann.
Die Tätigkeit einer Pflegekraft ist anstrengend und wird oft als unattraktiv und unästhetisch empfunden, weswegen wir sie zusammen mit dem Altern, dem Leid und dem Sterben gerne verdrängen, anstatt ihr die verdiente Wertschätzung zu erweisen. Marco Balzano tut gut daran, dies dem Publikum vor Augen zu führen und den Finger in offene Wunden zu legen. Doch indem er die übelsten Ausprägungen des weit verbreiteten Beschäftigungsmodells anprangert, polemisiert er auch. Seine Schilderungen klammern aus, dass die Pflegenden aus dem Ausland vielen Menschen der älteren und der jüngeren Generation dringend benötigte Erleichterung bringen und sie diesen Dienst in der Regel durchaus so gestalten können, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen brauchen.
Arbeitsmigration ist ein globales Phänomen, das allen Beteiligten Vor- und Nachteile bringt. In den reichen Ländern profitiert man von Dienstleistungen und Produkten, die aus eigenen Ressourcen nicht zu beschaffen wären. Die Migranten erhalten bessere Verdienstmöglichkeiten als in ihrer Heimat, müssen dafür aber oft schwer zu verkraftende Lebensbedingungen hinnehmen. Mit den nach Hause fließenden Einkünften verbessern sie dort den Lebensstandard, was wiederum Arbeitswillige aus noch ärmeren Ländern anzieht. Mit seinem eindringlichen Plot setzt Bolzano allerdings ein auf Effekt zugespitztes Einzelbeispiel in Szene, welches illustriert, zu welch dramatischen Konsequenzen Arbeitsmigration im privaten Bereich führen kann, und bedient damit das Klischee eines modernen Sklaventums. Das ist ein legitimes literarisches Verfahren, aber der Roman büßt damit an Differenziertheit und Repräsentativität ein.