Frustrierte Kleinbürger, ausgebuffte VIPs und die Spätfolgen des Kalten Krieges
Niccolò Ammaniti, geboren 1966, ist einer von den ganz Großen unter Italiens zeitgenössischen Schriftstellern. Neben zahlreichen Erzählungen (z.B. in der Sammlung »Fango«, 1999) und Aufsätzen hat er seit 1997 sechs Romane veröffentlicht, von denen drei verfilmt wurden (wie auch eine der »Fango«-Kurzgeschichten). International wurde er am bekanntesten mit seinem dritten Opus, »Io non ho paura« (2001), und dessen kongenialer filmischer Umsetzung von Gabriele Salvatores (2003).
Der Meister hat einen markanten eigenen Erzählstil herausgebildet, der flott und äußerst unterhaltsam zu lesen ist und eine Art Film vor Augen erzeugt. Er meidet detailreich-ausführliche Beschreibungen von Natur, Räumen und Personen ebenso wie blumig-poetische Bildlichkeit, bevorzugt die äußeren Abläufe (von denen es immer reichlich gibt), bedient sich eines schlichten Satzbaus – und hinterlässt doch einen kräftigen, nachhallenden Eindruck. Der entsteht aus Präzision, Anschaulichkeit und Witz der Wortwahl, aus den dem Alltag abgelauschten Dialogen, kleinen Gesten, Schauplätzen und anderen Realitäts-Snippets – und einer unaufdringlich kommentierenden, bisweilen leicht ironisierenden Erzählhaltung. So wachsen die Figuren uns Lesern ans Herz, aber wir verlieren niemals die kritische Distanz zu ihnen: Wir verstehen sie, bedauern sie, durchschauen sie, belächeln sie oder sympathisieren mit ihnen …
»Che la festa cominci« besteht aus 80 Kapitelchen sowie einigen Bonus-Tracks (z.B. einem Überblick über die Geschichte des Parks der Villa Ada in Rom nebst Karte), das Ganze gegliedert in vier Teile: Genesi (ca. 95 Seiten), La festa (150), Katakumba (60) und Quattro anni dopo (4).
Die weitaus meisten der Kurzkapitelchen erzählen immer hübsch alternierend von den beiden Hauptpersonen:
Fabrizio Ciba: gefeierter Erfolgsautor und (vorgeblicher) Gesellschaftskritiker, begnadeter Selbst-Stilisierer und (heimlicher) Improvisator, zu Hause in der Schickeria Roms, dem die Frauenherzen zufliegen und der beständig von Zweifeln und Verlustängsten geplagt ist – im Grunde ein labiler Charakter. Wir verfolgen amüsiert, wie er sich zwischen den Klippen des Literaturgeschäfts, den Relikten vergangener und den Lockungen zukünftiger amouröser Abenteuer und überhaupt den Widrigkeiten des gemeinen Alltags hindurch manövriert …
Saverio Moneta: ebenso labil wie Ciba, kleiner Buchhalter in einer Möbelfabrik in der Provinz, dessen Leben nur einmal an Bedeutung zu gewinnen schien, als Serena, die verwöhnte Tochter des Chefs, ihm ihre (vorübergehende) Aufmerksamkeit schenkte und ihn ehelichte; seither leidet er unter ihrer kaltherzigen, materialistischen Oberflächlichkeit, der Fuchtel ihres Vaters und unter seinem eigenen Unvermögen. Wann immer er kann, entflieht er aus dieser kleinkarierten Welt klammheimlich in eine vollständig andere: Da heißt er »Mantos« und ist der Anführer der Satanisten-Gemeinschaft der Belve di Abaddon. Nur leider bleibt auch dort jeglicher Erfolg aus. Ihm fehlen Charisma und Aufsehen erregende Taten, und so haben ihm die meisten seiner Vorstadt-Adepten längst den Rücken gekehrt, um zum Konkurrenzbetrieb, den Figli Dell’Apocalisse und ihrem Boss Kurtz Minetti überzulaufen, der Nummer Eins auf dem Satanistenmarkt. Verblieben sind ihm Edo Sambreddero (Zombie), der bei den Frauen nicht landen kann, schon weil ihn seine esofagia gastrica bremst; Roberto Morsillo (Murder), 100kg schwer, und Silvia Butti (Silvietta), die eigentlich einmal von den Belve als Zufallsopfer ritualgemordet werden sollte (was aber schiefging …) und dann Vergnügen an dieser Gruppe fand. Jetzt ist sie deren Vestalin und offizielle Joint-Rollerin.
Über fast einhundert Seiten laufen diese beiden Erzählstränge unverknüpft nebeneinander her – und doch auf einen gemeinsamen Punkt zu: Das ist das Fest aller Feste, die gigantomanische dekadente Party, zu der Sasà Chiatti, der Immobilienmogul, alles einlädt, was Rang und Namen hat. Der neapolitanische Emporkömmling, der sich auch jetzt noch am liebsten von Mama mit Pasta alla casalinga bekochen lässt, hat die Villa Ada, den heruntergekommenen öffentlichen Park über frühchristlichen Katakomben (alles Tatsachen) gekauft und als eine Art Zoo aus drei Weltgegenden aufgemotzt (fiktiv, aber in Rom nicht ganz unrealistisch). Zur Feier des Tages organisiert er drei Jagdgesellschaften, umrahmt vom Besten, was die Ewige Stadt an Koch- und anderen Künsten zu bieten hat. Ciba wittert dort eine große Bühne für sich, und Mantos plant den Coup, mit dem er die Belve di Abaddon zur Speerspitze des Satanismus werden und die Figli Dell’Apocalisse alt aussehen lassen will …
So weit, so gut. Das Handlungsgerüst ist bewährt – Ammanitis »Ti prendo e ti porto via« (1999) hat ein ähnliches, wo sich ebenfalls ein paar Taugenichtse durch den Alltag lavieren, eine immer breiter werdende Schneise an Sach- und menschlichen Schäden hinterlassend, bis schließlich alle Handlungsfäden in einer gewaltigen Katastrophe kulminieren. Und die Charaktere sind ebenso zum Kopfschütteln amüsant: Die Satanisten träumen von ungeahnten Gräueltaten – und sind doch bloß brave Kleinbürger (Zombie muss sich um Mama kümmern, und Silvietta weiß jeden Promi-Tratsch, denn sie liest ja »Gente«, die italienische »Bunte«). Karikaturesk überzeichnet sind die Details des todernst genommenen Kultes – Riten, Titel (sommo maestro), pathetische Diktion und Verkündigungsmotiv (Le Tavole del Male) erinnern (unter umgekehrtem Vorzeichen) an Christliches, dazu kommen Marketing, Blutsbrüderschaft, Orgien, Opfer und DIE große Tat, die den Belve schließlich den ewigen Platz zur Rechten Luzifers sichern soll …
Saverio-Mantos, anfangs befremdlich in seinen abgrundbösen Fantasien, entpuppt sich immer mehr als bedauernswerter Verlierertyp. Ohne klare Prinzipien wird er bald hierhin gezogen, bald dorthin geschubst. Manchmal findet er zu durchaus guten Einsichten, verwirft sie aber im nächsten Moment wieder – und torkelt so haltlos durchs Leben, von einem Unfall zum nächsten, größeren … Als seine große Chance kommt, Gebietsleiter der Figli Dell’Apocalisse für Mittelitalien zu werden, ausgerechnet da entdeckt er, dass er nicht immer »Ja« sagen sollte – und sagt »Nein« zu Kurtz Minetti anstatt zu seiner tyrannischen Serena und ihrem Vater.
Das ist hier alles nicht so zum Brüllen komisch wie bei den Wichten in »Ti prendo e ti porto via«. Einerseits überzeichnet Ammaniti hier noch viel grotesker und scheut vor keinem trash zurück; andererseits sind die Figuren tragischere, gebrochenere Helden, die an der Diskrepanz zwischen ihrem armseligen Alltag und ihren Träumen, mal was Riesiges zu erleben oder gar zu schaffen, zu zerbrechen drohen. Auf der Suche nach Idealen, nach Größe finden sie nur absonderliche Schlupfwege und können nichts anderes zustandebringen als die Perversion alter Werte. Um sich echten zu widmen, fehlt es ihnen an Charakter, Intelligenz, Bildung und Chancen; sie sind vom Leben und ihren Mitmenschen gedeckelt. Interessant ist, dass dies in gewisser Weise auch für Fabrizio Ciba gilt – mit dem Unterschied, dass der genug schriftstellerisches Talent und Glück hatte, um in die Promi-Liga gespült zu werden, in der er sich nun verzweifelt über Wasser zu halten bemüht.
Den personellen Hintergrund bildet ein parodistisches Panoptikum aus Politikern, Profi-Fußballern, Pop-Künstlern und anderen Promis, bevorzugt Models und veline (die rein dekorativen TV-Show-Assistentinnen) – wer würde da nicht auch Silvio Berlusconi und seine Denkweise verschlüsselt sehen?
Kurz vor dem vom Leser vermuteten Kulminationspunkt zum Höhepunkt des Festes führt Ammaniti – nach ca. 250 Seiten – einen ganz unerwarteten dritten Handlungsstrang ein. Weil keinerlei Zusammenhang mit den beiden bisher verfolgten besteht, beginnt der Autor ein neues Kapitel und muss zu dessen Beginn erst einmal einen (kursiv gedruckten) Einführungsvortrag halten, bevor nach Deus-ex-machina-Manier das alles vernichtende infernalische Feuer- bzw. Wasserwerk ausbrechen kann …Mal abgesehen davon, dass derlei Schluss-Zauber des Lesers engagiertes Mitdenken rückwirkend annihiliert und immer wie eine strukturelle Notlösung aussieht, entsteht hier auch noch ein unnötiger Bruch im Realitätsgrad: Danach nehmen Abstrusitäten und Klamauk überhand – und entziehen der Bewertung des Buches gleich noch einen Stern.