Ein Krimi auf leisen Sohlen
Der Verleger Daniele di Gennaro lud im Frühjahr 2005 die weit über Italien hinaus bekannten Bestsellerautoren Andrea Camilleri und Carlo Lucarelli zu einem gemeinsamen Interview. Aus einem zunächst geplanten Filmprojekt entstand schließlich die Idee zu diesem kleinen, sanften Kriminalroman "Das süße Antlitz des Todes" (Originaltitel: "Acqua in Bocca").
Carlo Lucarelli, geboren 1960 in Parma, lebt heute in Bologna, wo er als Schriftsteller, Journalist, Drehbuchautor, Fernsehmoderator und Regisseur arbeitet. Mit Marcello Fois und Loriano Macchiavelli gründete er die "Gruppe 13", eine Produktionskooperative italienischer Kriminalautoren. Lucarelli liebt die Vielseitigkeit: So erschien 2008 ein historischer Roman, der den Leser auf faszinierende Weise nach Eritrea in die Zeit des italienischen Kolonialismus eintauchen lässt (Lesen Sie hier meine Rezension zu Carlo Lucarelli: 'L'ottava vibrazione' auf Bücher Rezensionen), und er schrieb alternierend an drei Krimiserien, die von ganz unterschiedlichen Hauptcharakteren geprägt waren: Commissario De Luca, Sovrintendente Coliandro und Ispettore Grazia Negro. Letztere ist aus Apulien nach Bologna versetzt worden und kämpft sich in der italienischen Machowelt eigenwillig und selbstbewusst durch.
Andrea Camilleri, 1925 im südsizilianischen Porto Empedocle geboren, muss man nicht mehr vorstellen. Er hat seine Heimatinsel, ihre Mentalität und Sprache literarisch erschlossen und weltbekannt gemacht und für sein umfangreiches Werk zahlreiche Literaturpreise erhalten. 1994 erschien der erste Krimi um Salvo Montalbano, den differenziert gestalteten Commissario, der auf intelligente, markante, auch schlitzohrige Weise in der fiktiven, nach Camilleris Geburtsort gestalteten Stadt Vigàta ermittelt. 1999 strahlte das italienische Staatsfernsehen RAI die erste von mittlerweile 22 höchst erfolgreichen Verfilmungen mit dem großartigen Luca Zingaretti in der Hauptrolle aus. Obwohl sie in Italien Kultstatus genießen, hat das ZDF den deutschen Zuschauern nur vier Teile gegönnt, die 2001 am späten Sonntagabend ausgestrahlt wurden und dann folgen- und sogar wiederholungslos im Archiv verschwanden ... Immerhin sind die liebenswerten Filme in italienischer und neuerdings auch in deutscher Sprache auf DVDs erhältlich. Mehr über diese Filmserie lesen Sie in meiner ausführlichen Rezension zu 'Il Commissario Montalbano'.
Lucarelli und Camilleri führen nun im "Süßen Antlitz des Todes" ihre bewährten Protagonisten Grazia Negro und Salvo Montalbano zusammen, um den Mord an einem Spediteur aufzuklären. In Form eines regen Briefwechsels, der unbedingt geheim bleiben muss, um beider Leben nicht in Gefahr zu bringen, ziehen die Autoren ihre Figuren wie bei einer Schachpartie.
Bewusst verzichtet das Autorenduo darauf, dem Typus des Mafia-Thrillers mit brutalen Einlagen zu huldigen; der besondere Gusto dieses Büchleins liegt stattdessen in stilistisch fein pointierter und ausgefeilter Sprache mit Esprit und charmantem Witz. Neben nüchternen Dokumenten, Verhörprotokollen, Dienstberichten, Akten und Fotografien tauschen die beiden Partner auch Persönliches aus. Zum Beispiel macht Montalbano wieder einmal seine stets krisenanfällige Fernbeziehung zu Livia zu schaffen: Der fällt ein Brief von Grazia an ihren Salvo in die Hände, in dem sie ihm ihre Privatadresse mitteilt - was natürlich Grund genug ist, um eine Eifersuchtsattacke zu erleiden! Dabei möchte Grazia doch nur durch vorgetäuschte Liebesbriefe die kriselnde Beziehung zu ihrem Freund Simone wieder in Schwung bringen ...
Auch Montalbanos Faible für Kulinarisches darf nicht fehlen. Man schickt sich Cannoli und andere Gebäckköstlichkeiten, handgemachte Tortellini mit besten Empfehlungen und Rezepten - gleich fühlt sich der Italien-Fan heimisch wie am Herd einer "Mama".
Auf knapp 100 Seiten entwickelt sich so ein in mehrfacher Hinsicht genüsslicher Handlungsgang, den hartgesottenene Krimi-Liebhaber allerdings wenig spektakulär finden werden.
Ein gelungenes Experiment zweier renommierter Autoren, die es nicht nötig haben, einander ausstechen zu wollen, sondern einander auf Augenhöhe reizvoll ergänzen.