Rezension zu »Die Spur des Lichts« von Andrea Camilleri

Die Spur des Lichts

von


Kriminalroman · Teil der Serie »Il commissario Montalbano« · Bastei Lübbe · · 272 S. · ISBN 9783785725863
Sprache: de · Herkunft: it

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Das bittere Ende eines Traums

Rezension vom 26.05.2017 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Einen geruhsamen freien Tag wollte sich der commissario heute gönnen. Als der Innen­minister ange­kündigt hatte, auf dem Rück­flug von Lampe­dusa die Flüchtlings­unter­künfte in Vigàta in Augen­schein zu nehmen, und Polizei­präsident Bonetti-Alde­righi sofort Anwei­sungen erteilte, wie jegliche Unan­nehm­lich­keit schon im Vorfeld zu ver­eiteln sei, spürte Mon­talba­no gleich die Wut in seinem Bauch. Diesen feinen Herr­schaften wollte er keines­falls persön­lich begeg­nen. Also dele­gierte er die An­gelegen­heit kurz ent­schlossen an seinen Stell­vertreter Mimì Augello und würde ausnahms­weise einmal zu Hause bleiben.

Doch der Tag beginnt unangenehm und unheimlich. Das Telefon klingelt auch heute, und sicher wird der Telefonist am Apparat sein, der um diese frühe Stunde im Kom­missa­riat als einziger die Stellung hält. »Catarella sum«, tönt es aus dem Hörer. Salvo traut seinen Ohren nicht. Sollte sein Büro­faktotum ein wenig Latein können? Um sein wie immer dringliches Anliegen vorzu­bringen, kehrt Cata­rella dann doch lieber in sein eigen­williges Italie­nisch zurück und verwickelt sich wie üblich in eine »lang­atmige und kom­plexierte Geschichte«: Ein Bauer habe auf seinem Acker einen Sarg vorge­funden, und der com­missario sei als einziger verfügbar, um hinzu­fahren.

Über enge, holprige Wege erreicht Mon­talba­no das Feld. Cata­rella ist schon da. Als er den Deckel des simplen Holz­kastens ein wenig lüpft, rümpft er die Nase: »Iam fetet.« Jetzt platzt dem commissario der Kragen. Was für ein Spiel treibt der Kerl mit ihm? Er brüllt seinen treuen Mit­arbeiter derart an, dass der vor Schreck erstarrt, alle Vorwürfe von sich weist und erbärm­lich zu jammern beginnt: »O me miserum! O me infelicem!«. Der Tele­fonist, der schon mit seiner Mutter­sprache auf Kriegsfuß steht, zitiert aus Ciceros Vertei­digungs­rede »Pro Milone«! Rasende Wut packt Salvo, er verliert jegliche Conte­nance und stürzt sich auf den armen Kollegen.

Plötzlich öffnet sich der Sargdeckel, und heraus steigt niemand anders als der Questore Bonetti-Alde­righi. Der Anblick seines unge­liebten Vorge­setzten im Leichen­tuch lässt Mon­talba­no einen derartigen Schreck in die Glieder fahren, dass er aus diesem merk­würdigen Albtraum erwacht. Er findet sich wieder im mor­gend­lichen Diesseits eines ganz normalen Arbeits­tages …

So seltsam und doch so stimmig und real erscheinen Salvo die Ereig­nisse in seinem Traum. Nur gut, dass nichts der Wirklich­keit entspricht, vor allem nicht der Besuch des Innen­ministers. Aber kaum im Kommis­sariat einge­troffen, holt ihn sein Traum Stück für Stück ein.

Fazio meldet, in zwei Stunden treffe der Innen­minister bei den Not­unter­künften ein, und legt seinem Chef, dessen Aversio­nen er kennt, gleich nahe, sich einen freien Tag zu nehmen. Mimì Augello berichtet, dass Questore Bonetti-Alde­righi ins Kranken­haus einge­liefert worden sei. Und schließ­lich zeigt ein Land­besitzer namens Inteli­sano einen selt­samen »Einbruch« an. Unbe­kannte hätten ein herunter­gekom­menes Häus­chen auf seinem Acker­land mit einer massiven Tür samt Riegel ver­schlossen. Da der Innen­minister spontan um­disponiert und lieber ohne Zwischen­stopp in Vigàta nach Rom zurück­fliegt, kann Mon­talba­no sich der Sache annehmen. Doch beim Orts­termin steht das kleine Gebäude offen, die angeb­lich einge­setzte Tür ist verschwun­den.

Wie zumeist wird commissario Mon­talba­no auch im neuesten Band – dem neun­zehn­ten der Reihe – mit meh­reren Fällen gleich­zeitig kon­fron­tiert. So erscheint jetzt auch noch ein feiner Fünfzig­jähriger auf dem Kommis­sariat und meldet, seine junge (sehr junge!) Frau Lore­dana sei mitten in der Nacht um die Tages­einnah­men seines Super­marktes beraubt worden. Camilleris Spezialität und Meister­schaft besteht darin, dass das einge­spielte Team im Verlauf seiner dialog- und wendungs­reichen Ermitt­lungen unter zunächst rätsel­haften, harmlos oder skurril an­muten­den Ober­flächen weit verzweigte Abgründe aufbricht und düstere Machen­schaften des organi­sierten Ver­brechens oder der großen Politik, Korruption, Gaune­reien oder persön­liche Leiden­schaften (Liebe, Eifersucht, Hass, Missgunst, Habgier ...) ans Tages­licht bringt.

Dieses Mal bekommen wir es mit einer vertrackten Liebes­affäre, krimi­nellem Kunst­handel und illegaler Waffen­schiebe­rei zu tun. Letztere steht im Zu­sammen­hang mit dem politi­schen Umsturz in Tunesien im Früh­jahr 2011, der den »Arabi­schen Früh­ling« ein­leitete. (Das italie­nische Original »Una lama di luce« erschien ja bereits 2012.) Wegen der möglichen Gefahr eines Anschlags zieht die Anti­terroris­mus-Dienst­stelle den Fall exklusiv an sich, aber unge­achtet der Warnung, sich heraus­zuhalten, bleibt Mon­talba­no am Ball und recher­chiert auf eigene Faust weiter. So kehrt er auf den verfluchten Acker zurück, der ihm aus Traum und realem Orts­termin vertraut ist. Ein reflek­tierter Licht­strahl – die »Spur des Lichts« – verrät ihm, dass ihn jemand aus dem verfal­lenen Haus heraus beobachtet.

Mit diesem Detail kommt eine private Angelegenheit zwischen Salvo und seiner Langzeit-Verlobten Livia ins Spiel. Sie hatte fünf­und­zwanzig Jahre zuvor hoff­nungs­voll begonnen und hätte damals zu einer Heirat führen können. Dann aber brachte sie einige Ent­täuschun­gen mit sich, die die beiden statt­dessen vonein­ander ent­frem­deten und be­drückten. Auch jetzt meldet sich Livia aus dem liguri­schen Bocca­dasse und klagt über eine uner­klär­liche körper­liche und schmerz­hafte Beklem­mung, als ob ihr »etwas ganz Schlimmes zustoßen könnte«.

Ehe all dieses Chaos Mon­talba­no über­rollt, findet er noch Zeit, der neu eröff­neten Galerie in Vigàta einen ent­spann­ten Besuch abzu­statten. Dort ent­fachen die Reize der attrak­tiven Gale­ristin Marian ein Feuer in ihm, das seine Treue zu Livia nicht löschen kann, zumal Marian geschickt dafür sorgt, dass es immer aufs Neue auf­lodert. Aber Salvos schwei­fende Gedanken und Gefühle sorgen für allerlei Miss­verständ­nisse und Kom­plika­tionen bei den Telefo­naten mit Livia. Doch wer (außer ihr) würde es Salvo – einem Mann in den besten Jahren – verübeln, wenn er die diffi­zile Dauer­bezie­hung zur fernen und kom­plizier­ten Ver­lob­ten nicht gelegent­lich in den Hinter­grund treten ließe?

Mit ungewohnter Tragik und erschütterndem Leid endet der Roman, wo er ein paar Tage zuvor begann, und erfüllt auch noch den letzten Voraus­verweis des Albtraums: Auf jenem trost­losen Acker steht tat­säch­lich ein Sarg billigster Machart, ein Stück weißes Leinen schaut hervor, und als er die Leiche darin erblickt, bricht Salvo Mon­talba­no, der mann­hafte, hart­gesot­tene und doch sensible commissario von Vigàta, zusam­men.

Mehr zum Inhalt des zugehörigen Fernsehfilms »Una lama di luce | Düstere Vorahnung« finden Sie hier.


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