Rezension zu »Die Mission des Kochs« von Andrea Camilleri

Die Mission des Kochs

von


Ein gefeuerter Werftarbeiter nimmt sich das Leben. Ein skrupelloser Unternehmer wird erschossen. Ein ungewöhnliches Segelschiff läuft mal hier, mal da ein und gleich wieder aus. In der Questura von Montelusa übernimmt derweil ein großspuriger FBI-Agent das Ruder, und Montalbano wird in den Ruhestand bugsiert. Alles ein paar Nummern zu groß für das beschauliche Vigàta, wie wir es kennen.
Kriminalroman · Teil der Serie »Il commissario Montalbano« · Bastei Lübbe · · 272 S. · ISBN 9783757700188
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Sizilien

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book CD

Ein völlig Unbekannter

Rezension vom 30.09.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

»Ein völlig Unbekannter.« Das ist der letzte Satz dieses Krimis um den tüchtigen Salvo Mon­talba­no, Chef des Kom­missa­riats im sizi­liani­schen Provinz­städt­chen Vigàta. In acht­und­zwan­zig Kriminal­roma­nen und über siebzig Erzäh­lun­gen hat Andrea Camilleri (1925-2019) diesen Charakter schlüssig weiter­ent­wickelt, vom jungen Berufs­anfän­ger bis zum reifen com­missa­rio kurz vor dem Ruhe­stand. Seiner inter­natio­nalen Fan­ge­meinde ist er über fünf­und­zwanzig Jahre hin ans Herz gewachsen, eine aus­gereifte, runde Per­sön­lich­keit mit Licht- und Schatten­seiten, mit schar­fem Verstand, von tiefer Mensch­lich­keit und untrüg­lichem Gerech­tig­keits­sinn [› Einführung].

»Ein völlig Unbekannter« – so distanziert sich dieser seriöse, gestan­dene Mann im Rück­blick selbst von dem Bild, das er in diesem Krimi ab­geben musste. »Er würde alles dafür tun, dass diese Ge­schich­te niemals Teil seiner selbst wurde. Er würde sie verleug­nen und für immer aus seinem Ge­dächt­nis tilgen. An Bord der Alcyon war ein Mann gewesen, der weder seinen Namen trug noch sein Gesicht hatte. Ein völlig Unbe­kannter.«

Das ist natürlich ein literarischer Trick, wie Andrea Camil­leri, der alte Fuchs, den Schock seiner Eska­pade in ein kom­plett anderes Genre – das des action-Thrillers all’ameri­cana – im Nach­hinein abzu­mildern versucht. Doch da ist das Kind längst in den Brunnen ge­fallen, manch treuer Leser ver­wundert oder ent­täuscht, ver­prellt oder ent­rüstet. Was hat den Autor nur be­wogen, dass er dieses Buch über­haupt ver­öffent­licht hat? Auf­schluss gibt das Nach­wort, und davon setzt der Autor sicher­heits­halber gleich zwei an. Im ersten erläu­tert er, dass diesem Buch ein zehn Jahre altes Dreh­buch für ein (ge­schei­tertes) italie­nisch-ameri­kani­sches Film­projekt zu Grunde liege. Das habe er in einen Montalbano-Roman um­ge­wan­delt, wobei »dessen nicht literarischer Ursprung – im guten wie im schlechten Sinn – zwangsläufig zu spüren ist«.

Im zweiten deutet er an, was er aktuali­siert hat und was nicht, und schließt mit der auf­fällig be­müßig­ten Fest­stel­lung: »Ich finde, es ist ein ausgezeichneter Montalbano-Roman.« Und Camilleris Haus­verlag Sellerio kannte gewiss weitere gute Argu­mente für die Ver­öffent­lichung.

Immerhin die erste Hälfte des Buches fühlt sich wie ein ›echter Montal­bano‹ an. Der Schau­platz ist Vigàta, das Perso­nal von Cata­rella bis Ade­lina ver­traut, die Hand­lung passt zum Ort und hat eine schlichte sozial­kriti­sche Rele­vanz: Gio­vanni (»Giogiò«) Trinca­nato, Playboy und verant­wor­tungs­loser Erbe einer Werft, hat den Tradi­tions­betrieb mit seinem Lotter­leben in den Konkurs gewirt­schaf­tet. Einer der um ihre Existenz­grund­lage betro­genen Arbeiter ver­zweifelt und erhängt sich. Der Krimi gewinnt an Fahrt, als »Giogiò« ermor­det aufge­funden wird. Wir finden lieb gewon­nene Bau­steine wie die spitz­züngi­gen Ge­spräche im Kommis­sariat, Montal­banos Driften zwischen Träu­men und Reali­tät, seine aus­ufernden Mahl­zeiten in Enzos Trattoria (»Der Auber­ginen­auf­lauf schmeckte so köstlich […]: ›Bring mir noch eine Portion.‹), Spazier­gänge auf der Mole, Probleme mit den Sympto­men des Alterns, Ade­linas leckere Küche.

Aber irgendwie hängt schon dieser Teil in der Luft. Haben sich Livia und Salvo nicht nach Jahren des Gezänks im letzten Band getrennt? Keine Silbe dazu hier – beide gehen mit­ein­ander um wie immer, mal liebe­voll, mal ge­reizt. Und über­haupt fehlt jede Konti­nuität zum be­mer­kens­wer­ten Vor­gänger­band »Ein tiefer Blick in die Seele« (»Il metodo Catalanotti«) [› Rezension].

Mit dem Erscheinen eines merk­würdi­gen Segel­schiffes namens »Alcyon« setzt der zweite Teil ein. Es ist eine Art ›Flie­gen­der Sizilia­ner‹, der nahezu unbe­mannt und schein­bar konzept­los durchs Mare Nostrum geistert und immer nur für Stunden an­landet, um Proviant aufzu­nehmen. Mehr darüber und über den Plot, der mit dem Segler verknüpft wird, anzu­deuten, würde den­jenigen Lesern, die James Bond gut finden und sich über­raschen lassen möchten, den Spaß ver­derben. Die Hand­lung ist zwar reich an un­vorher­gese­henen Wen­dungen, aber nach meinem Geschmack insge­samt un­realis­tisch und in die Länge gezogen, in etlichen Details unlo­gisch und am Ende völlig über­dreht. Salvo Montal­bano glänzt dies­mal nicht durch Men­schen­kenntnis und messer­scharfe Über­legun­gen, sondern – wer hätte das je von ihm erwartet? – mit scharfen Messern. Diese Ver­fla­chung ist wohl ge­meint, wenn die italie­nische Verlags­werbung jubelt: »Montalbano ist abenteuerlustiger als je zuvor.« Dazu passt, dass der sonst so kulti­vierte, belesene Prota­gonist unge­bremst droht und flucht wie ein Kalfater­gehilfe und bei Frauen nur Augen für ihre körper­lichen Reize hat.

Dass in der Gesamtbewertung noch drei Sterne zu­sammen­kommen, liegt an einigen Details, die er­kennen lassen, dass dieses Misch­produkt denn doch aus der Werk­statt eines anschei­nend nimmer­müden literari­schen Voll­blut­künst­lers stammt. Wie er das erste Auf­tauchen des ge­heimnis­vollen Schiffes in eine traum­ähn­liche Szene bettet, später eine Mond­finster­nis gestaltet, wie er eine im Grunde alberne Maske­rade über Seiten hin zwischen Komik und Tragik oszil­lieren lässt, wie einige Figuren (etwa der Masken­bildner) so zuge­spitzt erschei­nen, dass man manch­mal glauben möchte, das Ganze sei eine Persi­flage (bis man den Glauben daran schnell wieder verliert) – das sind die nicht sehr zahl­reichen Glanz­lichter dieses Romans (den – wie schon die Vorgängerbände – Rita Seuß und Walter Kögler übersetzt haben).

Anders als all seine Vorgänger entlässt uns dieser disparate Krimi nicht nach­denk­lich, sondern mit einem bitte­ren Nachge­schmack. Falls er eine Satire oder ein Experi­ment sein sollte, so ist beides gründ­lich miss­raten – auf Kosten des Pro­tago­nisten, der zur Kari­katur seiner selbst verzerrt wird. Damit hat der Autor aus­gerech­net eine seiner Stärken verraten: die die Zeit­läufte über­dauernde Ver­lässlich­keit seiner Figuren und seines Welt­bilds.


Weitere Artikel zu Büchern von Andrea Camilleri bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »»Salvo amato ...« »Livia mia ...««

go

Rezension zu »Übersicht Filmserie Il Commissario Montalbano«

go

Rezension zu »Übersicht Filmserie Il giovane Montalbano«

go

Rezension zu »Übersicht Montalbano – die Kriminalromane und Kurzgeschichten«

go

Rezension zu »Capodanno | Silvester«

go

Rezension zu »Come voleva la prassi«

go

Rezension zu »Das Bild der Pyramide: Commissario Montalbano blickt hinter die Fassaden«

go

Rezension zu »Das Ende des Fadens«

go

Rezension zu »Das graue Kleid«

go

Rezension zu »Das Karussell der Verwechslungen: Commissario Montalbano lässt sich nicht beirren.«

go

Rezension zu »Das Labyrinth der Spiegel«

go

Rezension zu »Das Lächeln der Signorina«

go

Rezension zu »Das Nest der Schlangen«

go

Rezension zu »Das Netz der großen Fische«

go

Rezension zu »Das Ritual der Rache«

go

Rezension zu »Das Spiel des Patriarchen | La gita a Tindari«

go

Rezension zu »Der Bahnwärter«

go

Rezension zu »Der ehrliche Dieb«

go

Rezension zu »Der Hirtenjunge«

go

Rezension zu »Der Kater und der Distelfink | Il gatto e il cardellino«

go

Rezension zu »Der Tanz der Möwe«

go

Rezension zu »Die Botschaft der verborgenen Bilder«

go

Rezension zu »Die Frau aus dem Meer«

go

Rezension zu »Die Münze von Akragas«

go

Rezension zu »Die Revolution des Mondes«

go

Rezension zu »Die Sekte der Engel«

go

Rezension zu »Die Spur des Fuchses | La pista di sabbia«

go

Rezension zu »Die Spur des Lichts«

go

Rezension zu »Die Tage des Zweifels«

go

Rezension zu »Die Verlockung«

go

Rezension zu »Ein Samstag unter Freunden«

go

Rezension zu »Ein tiefer Blick in die Seele«

go

Rezension zu »Eine Stimme in der Nacht«

go

Rezension zu »Ferito a morte | Ein teuflischer Plan«

go

Rezension zu »Il casellante«

go

Rezension zu »Il cuoco dell’Alcyon«

go

Rezension zu »Il gioco degli specchi«

go

Rezension zu »Il metodo Catalanotti«

go

Rezension zu »Il sonaglio«

go

Rezension zu »Il sorriso di Angelica«

go

Rezension zu »Il terzo segreto | Das dritte Geheimnis«

go

Rezension zu »L'altro capo del filo«

go

Rezension zu »La giostra degli scambi«

go

Rezension zu »La piramide di fango«

go

Rezension zu »La prima indagine di Montalbano | Montalbanos erster Fall«

go

Rezension zu »La rete di protezione«

go

Rezension zu »La setta degli angeli«

go

Rezension zu »Maruzza Musumeci«

go

Rezension zu »Morte in mare aperto e altre indagini del giovane Montalbano«

go

Rezension zu »Riccardino«

go

Rezension zu »Ritorno alle origini | San Calorio«

go

Rezension zu »Romeo und Julia in Vigata«

go

Rezension zu »Sette lunedì | Sieben Montage«

go

Rezension zu »Streng vertraulich«

go

Rezension zu »Un covo di vipere«

go

Rezension zu »Un sabato, con gli amici«

go

Rezension zu »Una lama di luce«

go

Rezension zu »Una voce di notte«

go

Weitere Artikel zu der Serie Il commissario Montalbano bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Übersicht Montalbano – die Kriminalromane und Kurzgeschichten«

go

Rezension zu »Das Bild der Pyramide: Commissario Montalbano blickt hinter die Fassaden«

go

Rezension zu »Das Ende des Fadens«

go

Rezension zu »Das Karussell der Verwechslungen: Commissario Montalbano lässt sich nicht beirren.«

go

Rezension zu »Das Labyrinth der Spiegel«

go

Rezension zu »Das Lächeln der Signorina«

go

Rezension zu »Das Nest der Schlangen«

go

Rezension zu »Das Ritual der Rache«

go

Rezension zu »Das süße Antlitz des Todes«

go

Rezension zu »Der Tanz der Möwe«

go

Rezension zu »Die Botschaft der verborgenen Bilder«

go

Rezension zu »Die Spur des Lichts«

go

Rezension zu »Die Tage des Zweifels«

go

Rezension zu »Ein tiefer Blick in die Seele«

go

Rezension zu »Eine Stimme in der Nacht«

go

Rezension zu »Il cuoco dell’Alcyon«

go

Rezension zu »Il metodo Catalanotti«

go

Rezension zu »Il sorriso di Angelica«

go

Rezension zu »L'altro capo del filo«

go

Rezension zu »La giostra degli scambi«

go

Rezension zu »La piramide di fango«

go

Rezension zu »La rete di protezione«

go

Rezension zu »Riccardino«

go

Rezension zu »Un covo di vipere«

go

Weitere Artikel zu Büchern aus der Region Sizilien bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Andrea Camilleris sizilianische Küche: Die kulinarischen Leidenschaften des Commissario Montalbano«

go

Rezension zu »Angelica e le comete«

go

Rezension zu »Anna«

go

Rezension zu »Anna«

go

Rezension zu »Übersicht Montalbano – die Kriminalromane und Kurzgeschichten«

go

Rezension zu »Das Bild der Pyramide: Commissario Montalbano blickt hinter die Fassaden«

go

Rezension zu »Das Ende des Fadens«

go

Rezension zu »Das graue Kleid«

go

Rezension zu »Das Karussell der Verwechslungen: Commissario Montalbano lässt sich nicht beirren.«

go

Rezension zu »Das Meer am Morgen«

go

Rezension zu »Das Netz der großen Fische«

go

Rezension zu »Der Bahnwärter«

go

Rezension zu »Der Hirtenjunge«

go

Rezension zu »Der Morgen, an dem mein Vater aufstand und verschwand«

go

Rezension zu »Di niente e di nessuno«

go

Rezension zu »Die Botschaft der verborgenen Bilder«

go

Rezension zu »Die Frau aus dem Meer«

go

Rezension zu »Die Münze von Akragas«

go

Rezension zu »Die Revolution des Mondes«

go

Rezension zu »Die Sekte der Engel«

go

Rezension zu »Die stumme Herzogin | La lunga vita di Marianna Ucrìa«

go

Rezension zu »Ein tiefer Blick in die Seele«

go

Rezension zu »Es war der Sohn«

go

Rezension zu »I leoni di Sicilia«

go

Rezension zu »Il casellante«

go

Rezension zu »Il sonaglio«

go

Rezension zu »Io non ci volevo venire«

go

Rezension zu »La logica della lampara«

go

Rezension zu »La monaca«

go

Rezension zu »La setta degli angeli«

go

Rezension zu »La zia Marchesa«

go

Rezension zu »Liparische Inseln«

go

Rezension zu »Mamas wunderbares Herz | Il Michelangelo«

go

Rezension zu »Maruzza Musumeci«

go

Rezension zu »Repertorio dei pazzi della città di Palermo«

go

Rezension zu »Romeo und Julia in Vigata«

go

Rezension zu »Sicilia, o cara – un viaggio sentimentale«

go

Rezension zu »Stella o croce«

go

Rezension zu »Streng vertraulich«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Die Mission des Kochs« von Andrea Camilleri
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book CD


Kommentare

Zu »Die Mission des Kochs« von Andrea Camilleri wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top