Nikolausi
von Gerhard Polt
Fünfundzwanzig bissig-amüsante Plädoyers gegen Zwangssentimentalisierung und Christfestheuchelei
Adventsgrant und Weihnachtsgrollen
Ein Weihnachtsfeierlichkeitsbuch ist das nicht. Ob sein Autor etwas dagegen hat, die Geburt Jesu zu feiern, darf bezweifelt werden. Fest steht, dass er das, was die Menschen aus diesem Geburtstagsfest gemacht haben, verabscheut. Seit Gerhard Polt vor über vierzig Jahren als Kabarettist reüssierte, hat er mindestens die fünfundzwanzig in diesem Büchlein versammelten Texte zum Thema verfasst (Erzählungen und Satiren, ein Gedicht, Sketches und Mini-Theaterstücke, einige in Kooperation mit Hanns Christian Müller entstanden und leider alle ohne Quellen- und/oder Jahresangaben). Viele von ihnen werden dem Polt-Fan geläufig sein, wie etwa der den Titel gebende Sketch, in dem ein Kleinkind den Osterhasi für den Nikolaus hält und den an der Richtigstellung des Irrtums verzweifelnden Vater bis in Grauzonen des rationalen Diskurses und des pädagogisch Zumutbaren treibt (»Rotzbub frecher … gleich schmier ich dir eine«).
Die Texte halten, was man sich verspricht, wenn man den bärbeißigen Kult-Zyniker, -Satiriker, -Spötter, -Schauspieler, -Sänger und -Bayer kennt. Erst täuschen sie Harmlosigkeit oder Idylle an, dann klappt die Falltür auf, und Absonderliches starrt uns entgegen: gutbürgerliche Scheinheiligkeit, die Tricks der Konsumindustrie, eine unerbittliche Bürokratie, unter dem Druck fröhlicher Verpflichtungen vereiste menschliche Beziehungen, Gedankenlosigkeit, Unverständnis, Egoismus und Gier zwischen ringsum tönenden Phrasen von Freude, Besinnlichkeit, Nächstenliebe und Wohltätigkeit.
In mehreren Varianten spielt Polt das Mietnikolauswesen durch. Die (meist studentischen) Taglöhner sind einerseits der Knickrigkeit ihrer desinteressierten erwachsenen Kundschaft und jeder Willkür ihres dreisten kindlichen Publikums ausgeliefert, andererseits sind sie gebeutelte Akkordarbeiter. In diesem Dreieck ist viel Raum für Situationskomik, Sarkasmus und Revolution. Der Autor gibt zum Besten, wie er selbst als Neunjähriger als Zeuge eines kindlichen Umsturzversuches im erzkatholischen Altötting seine Angst vor Nikolaus und Krampus verlor.
Das Personal der Geschichten ist auf wiederkehrende Typen beschränkt: am Rande ihres Potenzials strampelnde Arbeitnehmer, beängstigend gemütliche Normalbürger, funktionierende Amtspersonen, durchtriebene Kindlein, verzweifelt besoffene Kleinbürger, erfolgreiche, charakterlich und geistig verarmte Manager, entseelte, schamlos materialistische Ehefrauen (großartig naiv, dass sich einem der Magen umdreht: die Gattin eines Waffenproduzenten, die übers Geschäft fabuliert).
All das führt Polt im bekannt giftigen Ton vor, der die Komik der Charaktere, Situationen, Verhaltensweisen und Dialoge zu bissiger Kritik gerinnen lässt. Wie in der Realität kann das weihnachtliche Thema auch derbe Vulgaritäten und exzessiven Alkoholzuspruch nicht verhindern.
Bücher und Musik-CDs für die Advents-
und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Ihre volle Wirkung entfalten Polts Satiren durch die bühnenerprobte Gestaltung der Figuren durch ihre Sprechweise. Während der aufgeblasene Phrasendrescher seine geschwollenen Floskeln auf Hochdeutsch abspult (wie bei Ludwig Thoma, aber hier ist er nicht unbedingt a Preiß’), tappen die Underdogs unbeholfen durchs Idiom, ringen vergeblich um das treffende Wort, ihre Syntax läuft ins Leere, bis sie resigniert aufgeben (was an Karl Valentin erinnert). Hinter sinnfrei gelallten oder hilflos gestammelten Dialogen erkennt man Leere oder Verformung der Gestalten.
In der Verschriftung verschmilzt Polts Bayrisch automatisch mit dem Kabarettisten – beim Lesen hört man die gequetschte Näselstimme, sieht die Gesten der kräftigen Hände, die Grimassen, die heimtückisch blitzenden Augen.
Wenn Sie gut aufmerken, finden Sie zwischen den Satirespitzen manchmal goldne Lichtlein blitzen – feinste Spuren verschütteter Festfreude, Besinnlichkeit und Menschenliebe, wie Polt sie vielleicht erleben durfte, bis der Altöttinger Kinderaufstand ihm alle Illusionen raubte.