Schräges Gutbuch
Die biblische Weihnachtsbotschaft ist – wenn auch stark verfremdet – eine Art Auslöser für die Handlung dieses Buches. Denn der Autor verkündigt seinem Publikum bemerkenswert große Freude: Ihnen ist ein neuer Messias geboren, welcher ist Jakob Jakobi, der Psychotherapeut, in der Stadt Namenlos. Ein zweiter Christ, der Retter, ist da! Er wird die Übel der Welt heilen! Engel und Leserscharen hätten guten Grund, den Allmächtigen zu loben und zu sprechen: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«
Doch unsere verkorkste Welt besser zu machen scheint nicht einmal dem Vater im Himmel möglich. Deshalb ist er höchstselbst herniedergestiegen, hat Menschengestalt angenommen (er nennt sich »Abel«) und seinen auserkorenen Heiland Dr. Jakob Jakobi aufgesucht, um ihm seinen Auftrag persönlich zuzustellen. »Und Gott sprach: Du musst mir helfen!«
Wer sich auf das Grundkonzept dieses Buches, die krude, ›lustige‹ Verballhornung der neutestamentlichen Heilsgeschichte, einlassen kann, mag es amüsant finden. Am Ende aber hat der Autor nicht einmal pseudoreligiösen Trost, dass wir Menschen durch einen göttlichen Gnadenakt von allem Übel erlöst würden. Vielmehr lautet seine Quintessenz: Wir werden's wohl selber richten müssen.
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Folgerichtig stellen wir erst einmal exemplarisch zusammen, wo es knackt und knistert im irdischen Gebälk. Das Ganze bitte schön heiter, in launigen, leicht durchschaubaren Episoden, damit es nicht weh tut. Wenn der Leser auf diesem Wege ein bisschen mitdenkt, kann er ein Gutmensch werden und selbst mithelfen, seine Welt zu verbessern.
Gleich die Eingangsbegebenheit vom Bösen im Alltag setzt die humorige Grundstimmung. Dr. Jakob Jakobi, 49 und Ich-Erzähler, ist im Festtagsendspurt, um auf dem Weihnachtsmarkt letzte Geschenke zu besorgen. Aber auf dem Weg dahin lauern ihm Nikolaus und Knecht Ruprecht auf. »Frohe Weihnachten und Geld her!«, raunen sie ihm zu, verweisen auf ihren Holzknüppel und fordern Bares, Handy und die gute Armbanduhr. Der Psychotherapeut, alerter Gesprächsführer von Berufs wegen, immer blendend gelaunt und zu einem Scherzchen aufgelegt, plappert mit den beiden, die ihm in nichts nachstehen, über die Echtheit der Uhr, über Bonzen, die sich so etwas leisten können (»Die wenigsten Vermögen werden auf ehrliche Weise verdient«, sagen die Räuber), und über seine Mildtätigkeit (hundert Euro könnten fünfzig Afrikaner vor der Flussblindheit bewahren) – alles vergebens: Sein Eigentum ist futsch. Ein Obdachloser (ebenfalls ein »netter Kerl, übrigens«) hat zugesehen (»Gute Show«), klärt Jakobi über die globalen Datenkraken auf und schenkt ihm eine abhörsichere Unterhose.
Wenig später steht Abel Baumann vor Jakobs Wohnungstür. Vier Jahre zuvor hatte er ihn schon einmal aufgesucht. Anfangs hatte Dr. Jakobi noch eine »schwere schizophrene Psychose« vermutet, denn der Mann hielt sich »für Gott höchstpersönlich«. Später war er sich nicht mehr so sicher. (Hans-Rath-Fans wissen: Dieses Buch hat zwei Vorgängerbände, »Und Gott sprach: Der Teufel ist auch nur ein Mensch!« sowie »Und Gott sprach: Wir müssen reden!«.) Nach einem Autounfall verstarb Abel Baumann im Krankenhaus; Jakob war live dabei.
Er ist wieder da, »gerade erst von den Toten auferstanden«, und lädt Jakob zum Frühstück in ein Café ein. Abel redet, Gott sei Dank, nicht so altmodisch und gewichtig daher wie bei Luther, sondern genau so schnodderig wie alle anderen Personen, schlagfertig, ironisch, provokant, gern auch hintergründig, mit tiefsinnigen Untertönen. Er erinnert Jakob an seinen Glauben, dem er (Abel-Gott) seine Existenz verdanke, und präpariert ihn für das, was er mit ihm vorhat: »Wenn Menschen nicht nur wünschen, sondern auch glauben, dann setzt das ungeahnte Energien frei.«
Dann wird's ernst: »Jakob Jakobi. Ich, der Herr, dein Gott, habe dich auserwählt, den Menschen eine frohe Botschaft zu bringen ... Du sollst verkünden, dass ich meinen Bund mit den Menschen erneuern möchte ... Du sollst den Welthunger bekämpfen, sämtliche Kriege beenden und der Menschheit den Weg in eine friedliche, gerechte und glückliche Zukunft weisen.« Jakob zaudert, nimmt sein Kreuz aber schließlich auf sich.
Jeder »Weltretter« fängt einmal klein an. Jakob mahnt Skinheads in der U-Bahn, vom Verprügeln ihres wehrlosen Opfers abzulassen (»Fangt mit dem Denken an. Und zwar genau jetzt.«) – und schon ziehen sie wie Lämmer von dannen. Wieder hat jemand beeindruckt zugeschaut und befördert Jakob jetzt aufs nächste Level. Jannika, ca. 25, deren physische Attraktivität ihn weit mehr interessiert als was sie zu sagen hat, klärt ihn auf, »wie viel Leid, Schmerz und Tod in unserem konventionellen Essen steckt«, bringt ihm vegane Kost näher und überredet ihn, seine »Gabe« für ein »höheres Ziel« einzusetzen, nämlich bei der Aktionsgruppe »Freaks of Nature« mitzuwirken. Da lernt Jakob den schwulen Franzosen Claude kennen, dessen Familie seit Generationen Entenstopfleber produziert. Bei dem nächtlichen Tierbefreiungsspektakel (Bilanz: sechs befreite Hühner) trägt Jakob naiverweise igitt-Kleidung: Daunenweste, Lederschuhe und einen Schurwollpulli. Und in diesem Stil geht es weiter, von einem Thema zum nächsten, Klischee um Klischee, an den Haaren herbeigezogen, aber immer schön griffig und ›nett‹ erzählt ...
Um es unumwunden zu sagen: Bei diesem Buch sträuben sich mir die Haare – nicht, weil es meine religiösen Gefühle, sondern den Verstand strapaziert.
Was möchte Hans Rath mit diesem Buch (bzw. der Reihe)? Natürlich will er seine Leser auf amüsante Weise dazu bringen, die Probleme unserer Welt wahrzunehmen und darüber nachzudenken, wie sie vielleicht ein wenig gemildert werden könnten. Sachlich bekommt der Leser aber nicht mehr als Trivia (»Ab und zu ein gutes Werk«). Das Amüsement andererseits nährt sich aus dem fragwürdigen Konzept, Gott als lebensechten Kerl mit kleinen menschlichen Schwächen in unseren Alltag zu schicken, was ihn, so weise er auch ist, zu einer ziemlich banalen Gestalt reduziert. Auch Jakob kann seine monströse Aufgabe natürlich nicht im Ernst bewältigen; es kommt zu nichts anderem als mit schlauen Sprüchen garnierten Verwicklungen. Unterm Strich ist das Buch nicht mehr als halbwegs erbaulicher Klamauk.