
La logica della lampara
von Cristina Cassar Scalia
Ein einflussreicher Staranwalt, mit allen Wassern gewaschen, hat bei einer Luxusparty in Catania eine junge Mitarbeiterin getötet. So sieht die Sache aus, nachdem vicequestore Vanina Guarrasi den nächtlichen Beobachtungen zweier Hobbyfischer nachgegangen ist. Doch der eigenwilligen Ermittlerin ist das Bild zu perfekt. Mit ihrem sympathischen Team und vielen Beziehungen kommt sie einer verwickelten Geschichte auf die Spur.
Feine Freunde
Mit einer vermeintlichen Idylle beginnt dieser Krimi aus dem Herzen von Catania: Zwei Freunde dümpeln in einer Novembernacht auf dem Meer vor Aci Castello in ihrem Boot und fischen geduldig mit der lampara, einer Laterne an Bord, deren helles Licht die Fische anzieht, so dass die Männer nur abzuwarten brauchen, bis ihr Netz sich von alleine füllt. Da bemerken sie, wie am Ufer ein Mann einen schweren Koffer aus seinem Auto wuchtet, zu den schwarzen Klippen hievt und ohne Last wieder wegfährt. Was hat er wohl mit dem Koffer entsorgt? Nach dem Frühstück wollen sie ihren guten Bekannten ispettore Carmelo Spanò bei der Squadra Mobile über den Vorfall informieren.
Gleich zu Dienstbeginn am nächsten Morgen geht bei vicequestore Giovanna (»Vanina«) Guarrasi, Spanòs Vorgesetzter, ein anonymer Anruf ein. Eine verängstigt wirkende weibliche Stimme meldet, dass in einer villetta am Meer eine junge Frau getötet worden sei. Straße und Hausnummer liefert die Anruferin gleich mit.
Schon am Nachmittag haben die Ermittler nach Ortsterminen an der Klippe und in dem Haus sowie einem weiteren Telefonat der namenlosen Anruferin das recht klare Gerüst eines Mordfalls erstellt: Bei einer ausgelassenen Party reicher Leute in der villetta wurde die junge Anwältin Lorenza Iannino ermordet, ihre Leiche in einen großen Koffer gepackt und im Meer versenkt. Der Tat dringend verdächtig ist der prominente Arbeitgeber des Opfers, der Anwalt Elvio Ussaro, der seine Finger überall im Spiel hat, wo es in der Stadt etwas zu holen gibt. Sein Ruf ist denkbar schlecht: Frauen betrachtet er als Jagdbeute, sich selbst als eine Art Herrgott und alle Mitarbeiter und Freunde als dienstbare Geister.
Auf dem Weg zu einer raschen Aufklärung gibt es nur ein paar gewaltige Haken: Die Leiche des Opfers ist nicht aufzufinden. Der Koffer enthält nichts als einen großen Blutflecken und ein Handy. Nirgendwo ist eine Vermisstenanzeige für die junge Frau erstattet worden. Ussaro behauptet steif und fest seine Unschuld. Und außerdem plagt Vanina immer wieder das dumpfe Gefühl, sie habe irgendetwas übersehen.
Was nun folgt, ist mühselige Recherchearbeit für das Polizei-Team unter Vaninas Leitung: Spurensicherung in den Räumen der villetta und auf der kleinen Straße davor, Ermittlung und Befragung der Party-Gäste, Analyse des Handys aus dem Koffer, Suche nach Angehörigen von Lorenza, Suche nach einer Leiche im Meer vor den Klippen. Stück für Stück kommen immer neue Details ans Licht, bringen neue Personen und Perspektiven ins Spiel – und werfen nur immer neue Rätsel auf. Es stellt sich heraus, dass die Party mit Champagner, Frauen und allem, was noch so dazugehört, von Elvio Ussaro über die von ihm initiierte Chat-Gruppe »Serate tra amici« organisiert worden war. Allerdings haben nahezu alle Gäste die Fete zu einem bestimmten Zeitpunkt fluchtartig verlassen.
Die Einzige, die wirklich alles im Blick hat und die anfängliche Hypothese gemäß der neuen Erkenntnisse modifizieren muss, ist Vanina, die agile Protagonistin dieses Krimis. Sie stammt aus Palermo, wo sie als Vierzehnjährige ohnmächtig zusehen musste, wie drei Mafiosi ihren Vater, ebenfalls Polizist, blutig abschlachteten, und wohin sie komplizierte zarte Bande mit einem Richter ziehen. Sie ist eine starke, lebenslustige Persönlichkeit, die mit allen gut auskommt und keine Scheu vor hohen Tieren hat. Je nach Bedarf kann sie schlagfertig, spitzzüngig oder diplomatisch kommunizieren. Zu ihrem (gelegentlichen) Leidwesen isst und raucht sie zu viel. Ihre aparte Leidenschaft: Sie sammelt alte sizilianische Schwarz-Weiß-Filme.
Mit ihrem Dienstort Catania fremdelt sie immer noch ein wenig. Das führt bisweilen zu Frotzeleien im lokalpatriotischen Mitarbeiter- und Bekanntenkreis. Auch die Autorin Cristina Cassar Scalia (1977 in Noto geboren) scheint die quirlige Studentenstadt, wo sie als HNO-Ärztin arbeitet, zu schätzen, denn ihre Weg- und Ortsbeschreibungen gestaltet sie derart präzise, dass wir sie auf Google Maps problemlos nachvollziehen könnten. Übrigens ist dies bereits der zweite Band ihrer Reihe um Vanina Guarrasi, die mit »Sabbia nera« begann und garantiert einen weiteren nach sich ziehen wird, so wie der Schluss dieses Romans gestaltet ist. Nach Verlagsangaben sind auch die Filmrechte bereits vergeben, und über den Drehort muss man nicht lange rätseln.
Dieser Krimi ist literarisches slow food. Denn auf Action wartet man vergebens. Vielmehr klebt die Handlung an den Fersen der squadra mobile und lässt keinen Schritt, keine Unterredung, kein Telefonat, keine vorläufige Hypothese aus. So bleibt man immer auf dem Erkenntnisstand der Polizei und kann schön gemächlich mitraten, wenn jemand im Team etwas Neues herausbekommen hat und referiert. Nicht nur der Mordfall birgt Rätsel und Überraschungen, auch Vanina hütet regelmäßig kleine Geheimnisse, denn sie neigt zu Alleingängen, die sie sogar ziemlich unverfroren ankündigt. Dann lässt sie ihre Mitarbeiter aber außen vor. Oder sie erteilt ihnen Aufträge, ohne offenzulegen, wozu die Maßnahme denn nun dient oder worauf geachtet werden sollte.
Dessen ungeachtet ist das Team der squadra mobile fast ein Herz und eine Seele. Ispettore Spanò ist Vaninas liebster und fähigster Mann, ispettrice Marta Bonizzoli ihre Vertraute (obwohl sie Norditalienerin, Veganerin und Motorradfahrerin ist). Der korpulente Tito Macchia, »Gran Capo« der Mordkommission (und Martas heimlicher Freund), lässt Vanina und ihren Intuitionen vertrauensvoll freie Hand. Wie offenbar in der gesamten Kriminalliteratur ist der Gerichtsmediziner Adriano Calì ein Kauz, und die Kollaboration mit dem immens wichtigen sovrintendente capo della scientifica Pappalardo ist angesichts seiner permanenten Arbeitsüberlastung angespannt. Gut, dass Biagio Patanè dagegen Pensionär ist. Der commissario in pensione wird per Zufall in den Fall verwickelt und erweist sich als sehr hilfreich.
Dies ist somit eine vergnügliche Ferienlektüre ohne große Ansprüche, auch nicht sprachliche. In manchen Szenen spricht man ein wenig sizilianischen Dialekt, den man ganz gut erraten kann (insofern ein schöner Einstieg in Camilleris Montalbano-Romane [› Gesamtübersicht]), und ein paar Hinweise auf die sizilianische Küche machen Appetit.