I leoni di Sicilia
von Stefania Auci
Der Aufstieg der Familie Florio von einfachen Gewürzhändlern zu den führenden Unternehmern und Neuerern im Sizilien des neunzehnten Jahrhunderts. Fleiß, Mut, Kreativität, diplomatisches Geschick, eiserne Disziplin und familiärer Zusammenhalt haben sie gegen viele Widerstände über Generationen hin stark gemacht.
Eine Erfolgsgeschichte
Florio – heutzutage löst dieser Name bei uns kaum Emotionen aus. Weinkenner schätzen den Marsala aus den Cantine Florio, Motorsportfreunde mögen von der Targa Florio gehört haben, dem halsbrecherischen Autorennen, das von 1906 bis 1979 alljährlich die Bergsträßchen Nordsiziliens unsicher machte. Es wurde von Vincenzo Florio ins Leben gerufen, dem zweiten dieses Namens in einer Familie, deren Ruf damals Weltgeltung hatte. Aber nirgendwo wurde sie so verehrt wie in Sizilien. 1989 verstarb mit Giulia Florio die letzte Erbin einer Dynastie, die über mehr als eineinhalb Jahrhunderte den Fortschritt auf der Insel verkörpert hatte.
Stefania Aucis Roman schildert die Schicksale der ersten beiden Generationen (bis 1868; eine Fortsetzung wird sicher folgen). Die Anfänge waren äußerst bescheiden, aber die Charakterzüge, die den Aufstieg befördern würden, traten schon deutlich hervor. Nachdem zwei Erdbeben ihr südkalabrisches Heimatstädtchen verwüstet und Todesopfer gefordert hatten, lassen sich die beiden Florio-Brüder Paolo (ein harter Bursche) und Ignazio (gewandter, verständnisvoller, liebenswerter) 1799 in Palermo nieder und verwandeln ihr kleines Gewürzlager innerhalb weniger Jahre in eines der führenden Geschäfte (»drogheria«) für Gewürze, Kräuter, medizinische Grundstoffe und Kolonialwaren aus der ganzen Welt. Sie arbeiten hart, lernen schnell, sind zuverlässig, kompetent, diszipliniert und zielstrebig und entziehen der mächtigen etablierten Konkurrenz bald die anspruchsvolle Kundschaft. Dafür ernten sie Neid, Argwohn, Hass, Demütigungen und Intrigen, und lange klebt an ihnen der Ruf, sie seien nichts als zugewanderte verschwitzte »facchini«.
Wichtige Unterstützer sind von Anfang an die alten Adelsfamilien, deren Einfluss in der erzkonservativen Klassengesellschaft der Bourbonen bis zur Einheit Italiens gesichert bleibt. Ihre Arroganz ist kaum erträglich, obwohl ihr zur Schau getragener Stolz längst ausgehöhlt ist. Nach und nach müssen viele ihr Tafelsilber verpfänden oder verkaufen (sofern sie es nicht am Kartentisch verspielen), schätzen und verlangen aber dennoch höchste Qualität. Gleichzeitig gewinnt eine wohlhabende Bürgerschaft an Einfluss, für die die soziale Herkunft weniger relevant ist als Fachkompetenz und erstklassige Waren. Über beides verfügen die Florio, dazu über Diskretion und vorurteilsfreie Umgangsformen. Ihren Durchbruch zu ungekannten Unternehmensdimensionen, gesellschaftlicher Bedeutung und großer Finanzkraft erzielen sie jedoch durch weitsichtige, kühne Innovationen. Paolos Sohn Vincenzo lernt von englischen Kaufleuten wie Benjamin Ingham und John Woodhouse, die im rückständigen Sizilien reüssieren konnten, und eignet sich ihre modernen Denkweisen und Methoden an. Ein Handelshaus zu betreiben genügt ihm nicht – er will die gesamte Produktionskette von Landwirtschaft, Fischerei und Bergbau bis zur Verschiffung nach Übersee in seiner Hand halten, darüber hinaus die Mechanisierung einführen, Industrie nach Sizilien bringen und sich staatliche Monopole sichern.
Palermo ist zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts eine quirlige Metropole von großer internationaler Anziehungskraft. Doch sie steht, wie die ganze Insel, unter dem Kuratell der reaktionären Bourbonen, die im fernen Neapel prachtvoll residieren und in ihrem »Königreich beider Sizilien« jegliches Liberalisierungsbegehren im Keim ersticken. Dabei stehen ihnen die Briten, die mit Frankreich um den Einfluss im Mittelmeer ringen, hilfreich zur Seite. Jahrzehntelang werden rebellische Aufstände in Sizilien brutal niedergeschlagen, bis 1860 Garibaldi an der Westküste landet, das neapolitanische Heer besiegt, die Insel dem Königreich Sardinien anschließt und der italienische Staat entsteht. Der schenkt Süditalien allerdings auch nicht die seit Jahrhunderten ersehnte Selbstbestimmung, sondern stülpt ihm einfach seine piemontesischen Strukturen über – mit tristen Folgen bis heute. Durch all diese politischen Fährnisse manövriert sich die Florio-Familie allein ihren eigenen Interessen folgend.
Stefania Auci, in Trapani geboren und jetzt in Palermo lebend, hat diesen potenzialreichen und bisher fiktional unbearbeiteten Stoff für ihren Roman an Land gezogen. Ihren selbst gesetzten Anspruch – »cercando di ricostruire non solo la vita di una famiglia, ma anche lo spirito di una città e di un’epoca« – hat sie bravourös erfüllt. Bereits in seinem Konzept enthält dieses Buch alles, was einen Bestseller verspricht. Es ist in einer Zeit und Gegend angesiedelt, wo uns vieles befremdlich erscheint, es befasst sich mit einer historischen Familie klangvollen Namens, mit starken Männern und Frauen, die sich durch nichts und niemanden davon abhalten lassen, ihre Wege zum Erfolg zu bahnen, mit fiesen Gegnern und ihren Ränken, die dennoch nichts ausrichten können gegen die Überlegenheit der Protagonisten, schließlich mit deren Liebe und Leid, Gefühlen und Geheimnissen, Stärken, Schrecken und Schicksalen über Jahrzehnte hin. In Firmen- und Pressearchiven, dazu in den Besitztümern der Familie fand die Autorin in privaten Unterlagen und Briefwechseln reichlich Material, das sie zu einem episch ausladenden Schmöker verarbeitete, der bereits vor seiner Veröffentlichung in Italien nach Deutschland, Frankreich, Spanien, in die USA und die Niederlande verkauft wurde und für eine Fernsehserie vorgesehen ist.
Auci erzählt die Handlung geradlinig, schnörkellos, hübsch der Reihe nach in kleinen Szenen, zwischen denen manchmal längere Zeiträume übersprungen werden. Mehr Raum als den kühnen unternehmerischen Aktivitäten widmet sie der detaillierten Herausarbeitung der Charaktere und ihres Innenlebens. Mit Ignazio und Paolo, dessen Ehefrau Giuseppina und beider Söhnchen Vincenzo waren auch ein Schwager sowie eine verwaiste junge Nichte nach Palermo gekommen. Wenn später Vincenzo – ein ebenso rigoroser, materialistischer und besitzergreifender Mann wie sein Vater – die Firma zu einem Konzern mit vielen Geschäftsfeldern erweitert, zieht er die Unternehmertochter Giulia aus Mailand an seine Seite (wobei heutige Leser entsetzt sein werden, wie selbst Frauen der ›besseren Kreise‹ damals eng begrenzt und rechtlos lebten). Die Beziehungen all dieser ausgeprägten Persönlichkeiten zueinander, ihre Ansichten zur Führung der Geschäfte und zu ihrer Rolle in Familie und Gesellschaft bergen erheblichen Zündstoff für dramatische Konflikte, die der auktoriale Erzähler gestaltet, ohne je zu urteilen. Ohnehin lässt ihn die Autorin keinen freien Gebrauch von seiner Wissensüberlegenheit machen, sondern dosiert seine Informationen lieber geschickt, um Spannung aufzubauen.
Äußerst reizvoll ist die lebhafte Ausgestaltung der Erzählung mit Details, die alle Sinne ansprechen. Das ist dem Thema angemessen, denn so können wir die Gerüche, Farben, Geräusche im Stammgeschäft (»aromateria«) der Florio nachvollziehen. Geschickt eingebaute fachkundige Erläuterungen geben Aufschluss zu den exotischen Waren, ihrer Herkunft, Verarbeitung und Wirkung in Küche, Kosmetik und Medizin. Indem die Florio-Männer ihre Aktivitäten erweitern, erfahren wir ebenso Interessantes über Seide, Schwefel, Marsala-Wein, die Konservierung von Thunfisch, über Dampfmaschinen, Schiffe und englische Fabriken, über internationale Handelsbeziehungen und politische Entwicklungen. Wie eindrucksvoll lebhaft Auci Wohnräume, Kleidungsstücke, das emsige Treiben im Hafen und in den Gassen Palermos beschreibt und die Gespräche unterschiedlichster Register, oft mit dialektalen Einsprengseln, gestaltet, belegt nicht nur die Tiefe ihrer Recherchen, sondern auch ihre sensible Imaginationskraft.
Dennoch stellt der Text für den fortgeschrittenen Fremdsprachler (Level B2) keine Überforderung dar, denn der Stil ist nach literarischen Maßstäben relativ schlicht, die Syntax einfach, das Italienisch auch für uns Nicht-Italiener gut zu verstehen. Das Erzähltempus ist durchgängig das Präsens. Was die vielen Fachbegriffe für Waren, Wirtschaft und Technik sowie die Dialektausdrücke betrifft, muss man Mut zur Lücke mitbringen und einfach weiterlesen – die Bedeutungen klären sich oft durch anschließende Paraphrase, in Wiederholungen, aus dem Kontext, und schlimmstenfalls ist es doch irrelevant, von welchem exotischen Kräutlein gerade die Rede ist. Oder man hält es mit Benjamin Ingham, »un giovanotto inglese, da poco arrivato a Palermo«, der mit dem Ausdruck »Taliàrisi u’ cappotto« nicht viel anfangen kann. »L’inglese aveva aggrottato la fronte nel tentativo di capire quella frase. Ne intuiva il significato, aveva provato a ripeterla. Poi era scoppiato in una risata rauca perché non c’era riuscito.«