Rezension zu »Repertorio dei pazzi della città di Palermo« von Roberto Alajmo

Repertorio dei pazzi della città di Palermo

von


Palermo ist eine besondere Stadt, und ihre Bewohner sind eine besondere Mischung. Seit fünfundzwanzig Jahren skizziert Roberto Alajmo Miniaturporträts der originellsten von ihnen.
Belletristik · Sellerio · · 132 S. · ISBN 9788838938603
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Sizilien

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Ein Reiseführer zu Narren und Käuzen

Rezension vom 01.03.2019 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Uno faceva collezione di storie eccentriche. Ne trovò una e la mise da parte. Poi ne trovò un’altra, e così via. Quando ne raccolse un certo numero, ne fece un libro. […]

Als ersten in seiner Sammlung wunderlicher Narren aus Palermo führt Roberto Alajmo sich selbst auf. Seine erste kleine Kollektion umfasste 1993 achtzehn Seiten. 1994 war sein »Repertorio« schon ein richtiges Büchlein (im Programm von Garzanti). Die Neuauflage von 2004 (von Mondadori) bekam den Zusatz »Nuovo repertorio …« und ist ebenfalls längst vergriffen. Jetzt ist das Kultbuch endlich da angelangt, wo es hingehört: bei Sellerio, dem Traditions­verlag aus Palermo. In dessen aktueller Ausgabe tummeln sich inzwischen über dreihundert Verrückte. In den letzten Jahren hat die kuriose Fleißarbeit in vielen anderen Städten Nachahmer gefunden, als müsse jetzt jede Stadt, die etwas auf sich hält, neben einem Reiseführer seiner Kirchen, Museen und Restaurants auch einen seiner Irren aufweisen.

Dabei sind die Italiener – anders als etwa die Briten – ja nicht gerade als Käuze bekannt. Sie mögen als aufgedreht, herzlich, unzuver­lässig, emotional und gerissen, als begnadete Improvi­seure und Herzens­brecher gelten, nicht aber als Exzentriker. Nur den Sizilianern sagt man seit Langem eine An­fällig­keit für das Sonderbare, eine Neigung zum Skurrilen nach, vielleicht geboren im Schmelz­tiegel all der Völker, die hierher kamen und ihre Spuren hinter­ließen, oder prägte womöglich die Insel selbst die eigenartige Mentalität? Jedenfalls haben Schrift­steller wie Luigi Pirandello, Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Andrea Camilleri und Stefano Malatesta (»Il cane che andava per mare e altri eccentrici siciliani« Stefano Malatesta: »Il cane che andava per mare e altri eccentrici siciliani« bei Amazon) derlei Typen literarisch gestaltet, und die Realität liefert ihnen bis heute genug Vorbilder:

Uno era il barone Pietro Pisani. […] Poiché era l’unico estimatore siciliano di Mozart e nessuno voleva portare in scena il Flauto Magico, il barone decise di rappresen­tarlo a spese sue. Si fece tradurre il libretto, ma non in italiano: in latino. […] Al termine dell’allesti­mento era completa­mente rovinato dal punto di vista finanziario. La sera della prima, nella sala deserta del conserva­torio Buon Pastore, c’era solo lui, seduto in poltrona.

Der Nachwelt blieb der Baron Pisani (1761-1837) auch als Gründer der revo­lutio­nären Anstalt Real Casa dei Matti bekannt, deren Insassen er gern ins Teatro Carolino einlud und das sich großer Beliebtheit erfreute:

Una era la famiglia Hardouin di Belmonte, che pure, per molto tempo, mantenne il diritto di prenota­zione per una camera principesca alla Real Casa de’ Matti, nel caso uno dei parenti ne avesse avuto bisogno.

Alajmos Porträtierte stammen aus gut zwei Jahrhun­derten, aus allen möglichen Berufen und allen Schichten der Stadt (darunter auffällig viele Adlige), viele sind namentlich identi­fiziert, in einer bestimmten Straße lokalisiert und sogar im Internet auffindbar. Auch ein paar Touristen und zugezogene Ausländer haben sich integriert. Und selbst paler­mitani­sche Vierbeiner sind vor Torheit nicht gefeit:

Una signora del Papireto viveva in una casa invasa dai topi. Quando un giorno la ricovera­rono in ospedale, i topi non trovarono più roba da mangiare e comincia­rono a gettarsi dal balcone finendo in strada.

Die Helden des »Repertorio« sind keine Witzfiguren. Keinen veralbert der Autor oder beraubt ihn seiner Würde. Die kleinen Szenen – manche nur einen Satz lang, die meisten zwei oder drei oder vier – sind nicht auf einen Lacher hin struktu­riert, sondern sachliche Persön­lichkeits­beschrei­bungen. Man wird den Leser selten kichern hören – meist wundert er sich, schmunzelt, staunt, ist ratlos.

Una era cecoslovacca, chissà come finita a fare spettacolo nel rettangolo di un balcone di via Sammartino. Era un balcone in alto, dal quale lei lanciava pasta sulla testa dei passanti: rigatoni, orecchiette, penne lisce e rigate. […]

Due erano madre e figlia, tanto vecchie che risultava impossibile distinguere quale fosse la madre e quale la figlia. Raccoglie­vano stracci camminando nel centro storico e tenendosi per mano.

Manche Narren von Palermo sind aus der Realität gefallene Käuze, die unbeein­druckt ihre Marotten pflegen, einer eigenen Logik folgen, einen Groll hegen, in einer privaten Gegenwelt versunken sind, oder es sind unkon­ventio­nelle Abweichler, die sich systema­tisch verweigern oder rebellieren, indem sie ihre »normalen« Mitbürger zum Narren halten.

Uno era Valentino Dardanoni, la cui specialità consisteva nel simulare al semaforo un guasto al vespino. Quando scattava il verde, faceva finta che il vespino gli si spegneva. Allora cominciava a cercare di farlo ripartire, ma senza muoversi dal centro della carreggiata, in modo da bloccare il traffico. Alle sue spalle si scatenava una tempesta di clacson, ma lui andava avanti così anche per tre o quattro verdi consecutivi.

Andere sind spleenige Gestalten, deren gesamtes Wesen und Verhalten nach­denk­lich stimmt. Steckt dahinter Schicksal, Weisheit, Ver­zweif­lung, Poesie, Tragik, Genie oder Zufall?

Uno lo conoscevano bene all’Ospedale Cervello, perché si presentava al pronto soccorso con tagli che si procurava lui stesso su tutte le parti del corpo. Pretendeva, ed era necessario, che gli dessero dei punti per ricucire le ferite. Punti dei quali teneva una precisa contabilità; infatti credeva che arrivato a quota duemila avrebbe potuto scegliere un premio a piacere.

Wieder andere erregen durch Kleinigkeiten Aufsehen – durch bizarre Ausrufe, unorthodoxe Repliken, Gesten, Rituale oder deren Verweige­rung. Einfach nur harmlose Bekloppte, bei denen ein Tic, eine An­gewohn­heit, eine bestimmte Vorstellung aus dem Ruder gelaufen ist und sich verselbst­ständigt hat:

[…] Lo chiamavano lo Sputatore perché ogni due passi tirava certi sputi densi e micidiali. Poi li guardava per terra e faceva una smorfia, come se stesse cercando di sputare fuori qualche cosa in particolare, ma non era mai quella giusta. […]

Wie unbeteiligt listet der Sammler-Autor all diese Charakter­köpfe auf, nirgendwo entschlüpft ihm ein wertendes Attribut, eine Vokabel des Spotts oder auch des Mitgefühls. Er proto­kolliert nur und inszeniert nie. Auch das paler­mitani­sche Publikum (Gesprächs­partner, Zuschauer, Mitbürger, Leid­tra­gende) hält er zurück, damit es den pazzi im Schein­werfer­licht nicht die Schau stiehlt. In Erinnerung bleiben die stilleren, mensch­lichen Qualitäten, wie in der Anekdote von der alten duchessa di Verdura, die den Gesang ihres Kanarien­vogels liebte und rühmte, aber sich schämte zuzugeben, dass sie längst fast taub und blind war. Als das Tierchen starb, wollten die Verwandten ihr Kummer ersparen und legten in den Käfig an seiner Stelle eine Zitrone,

che almeno era dello stesso colore. La duchessa visse ancora per dieci anni, durante i quali continuò sempre a sedersi di fronte alla gabbia del canarino. Fingeva di vederlo, fingeva di ascoltarlo e sorrideva. Quando il limone diventava marcio, i parenti lo sostitui­vano con uno fresco.

Nur einmal ist mit Roberto Alajmo offenbar die Fantasie durchge­gangen, und er hat seinen Landsleuten einen utopischen Bären aufgebunden:

Uno era un deputato regionale che rifiutò un aumento di un sacco di soldi perché diceva che era immorale.


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