Rezension zu »Morte in mare aperto e altre indagini del giovane Montalbano« von Andrea Camilleri

Morte in mare aperto e altre indagini del giovane Montalbano

von


Kriminalgeschichten · Teil der Serie »Il giovane Montalbano« · Sellerio · · 320 S. · ISBN 9788838932533
Sprache: it · Herkunft: it

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Fast schon wie der Alte

Rezension vom 16.03.2015 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Der neueste »Montalbano« ist nach längerer Zeit wieder einmal eine Samm­lung von Erzählungen. Jede der acht unterhaltsamen und viel­fäl­ti­gen Ge­schich­ten hätte das Zeug für einen umfangreicheren Ro­man – und schon gleich für eine Verfilmung. Die Fernsehserie »Il giovane Montalbano«, in Italien 2012 mit großem Zu­spruch ausgestrahlt, soll ja, so gehen die Gerüchte, fortgeführt werden. Ihre ersten sechs Episoden ba­sier­ten alle auf frühen Erzählungen (nicht etwa Romanen) Camilleris, die mit einer gewissen bio­gra­fi­schen Ver­net­zung und dem bekannten Personal der Montalbano-Hauptserie (Fazio, Mimì, Cata­rella, dottor Pas­qua­no, Adelina ...) angereichert wurden [› Übersicht und Rezensionen]. Hier kommt genug Futter für neue Folgen.
(Nachtrag im August 2015: Im September erscheint bereits die deutsche Ausgabe: »Der ehrliche Dieb« Andrea Camilleri: »Der ehrliche Dieb« bei Amazon , übersetzt von Rita Seuß und Walter Kögler.)

Ehe man sich's versieht, werden die Kinder älter. Auch der »giovane Montalbano« ist kein Frischling mehr wie in der ersten TV-Staffel. Zwar führt er seine Ermittlungen immer noch gern mit unkonventionellen Mit­teln, schert sich nur bedingt um Richtlinien und sieht gar nicht ein, warum er sein Temperament brem­sen sollte. Aber sind das nicht genau die Wesensmerkmale, die ihn durch die nächsten Jahrzehnte definie­ren und zu unserem geschätzten Helden machen werden? Wir wissen das, er aber nicht. Soll er sich also ruhig ein wenig die Hörner abstoßen.

Eine widersprüchliche Persönlichkeit ist Salvo schon jetzt (in den Achtziger Jahren). Einerseits aufbrau­send, respektlos, herrisch, andererseits verständnisvoll und nachsichtig, ja sogar nach innen gekehrt, auf die Respektierung seines Privatbereichs bedacht. Einerseits rebellisch gegen jede Bevormundung und überhaupt jede Hierarchie, andererseits nicht ganz uneitel in seiner frischen Position als Chef des Kommis­sariats, der keine Unsicherheit erkennen lassen will (obwohl er sich mancher Schwäche bewusst ist). Einer­seits verfolgt er miese Gesellen ganz unnachgiebig, andererseits hat er keine Skrupel, einen Kriminellen ungeschoren davonkommen zu lassen oder gar mit einem zu kooperieren, wenn es der Gerechtigkeit dient, wie er sie definiert: weniger an Gesetz, Hierarchie oder Bürokratie als an Menschlichkeit orientiert. Er­staun­lich ist immer wieder, wie nonchalant er taktiert, geradezu hinterhältige Strategien ausheckt, um Ver­bre­chern das Handwerk zu legen.

In Salvos Beziehung zu seiner neuen Flamme Livia aus Genua (die er in »Ritorno alle origini«, deutscher Titel »San Calorio«, kennengelernt hat [› Rezension]) sehen wir wohl die offenkundigsten Verände­rungen. Sie widmen einander viel Zeit, ihre Liebe ist frühlingsfrisch und nährt große Hoffnungen. Dass un­zählige Missverständnisse, Gereiztheiten und Verpflichtungen sie zermürben werden, dass aus Heirat und Kindern niemals etwas werden wird, das wissen wir, die beiden aber glücklicherweise nicht. Die Dauer-Fernverlobte-in-spe hält Salvo schon jetzt für viel zu gesetzt. »Quando diventerai vecchio, ti comporterai peggio di un gatto abitudinario.« (»Schoßkätzchen«) Was im Kontext bloß ein neckischer Piekser ist, gibt dem Mont­al­ba­no-Kenner Anlass zum Nachdenken über den »Alten«, der zwar seine eingefahrenen Marotten kultiviert (beim Essen, beim Schwimmen, beim Träumen ...) und doch bei jedem Fall wieder überraschen­de neue Wege geht. Die beiläufigen Anspielungen oder Projektionen erhöhen den Reiz dieses Bandes; un­ser Blick be­kommt etwas Diagnostisches: Wir verfolgen gespannt bis amüsiert wie immer den Plot um Verbrechen und ihre Aufklärung, aber wir merken auf, wenn uns Symptome für die zukünftigen »Leiden« der Pro­ta­go­nis­ten ins Auge springen.

Auch das Land hat sich, wenn man auf den »giovane Montalbano« zurückblickt, gewandelt. Man bezahlt in Lire und muss dabei auch im Alltag mit gewaltigen Beträgen rechnen, ein Attentat auf den Papst Johannes Paul II. erschüttert die Menschen, die Affäre um die Vatikanbank Banco Ambrosiano und den Finanz­jong­leur Michele Sindona beherrscht die Schlagzeilen. Besser waren die alten Zeiten also nicht. Deshalb sind die Fälle, mit denen sich der commissario herumschlagen muss, prinzipiell immer die gleichen: Be­zie­hungs­angelegenheiten, Entführungen, Erpressung, Raub, Gewalttaten, Drogenhandel, Bauspekulation, Mäd­chen­han­del, Prostitution – und dahinter stecken oft genug die Mafia-Clans Sinagra und Cuffaro.

Wer weiß schon, was Camilleri und/oder den Sellerio-Verlag zur Erschaffung dieses Erzählbandes veran­lasst hat (angeblich ist er über zwei Jahre hin entstanden). Es mögen kommerzielle Erwägungen gewesen sein, um der Marke »Montalbano« ein Update angedeihen zu lassen oder Drehbücher für den TV-Serien­ableger bereitzustellen. Fest steht aber, dass das Konzept literarisch stimmig und reizvoll ist. Camilleri hat Salvo Montalbano über zwei Jahrzehnte gut gepflegt. Er ist zu einer nuancenreichen, widersprüchlichen und starken Persönlichkeit gereift; deutliche Narben zeugen von den Auseinandersetzungen, die seine dienstliche und private Biografie geprägt haben. Da lohnt sich die Rückschau: Wie hat das alles be­gon­nen? Und Camilleri ist ein Schriftsteller, der auch sehr lange Fäden perfekt zusammenhalten kann.

Näheres zu den Kriminalfällen der acht Geschichten erfahren Sie unter den folgenden Links:

  1. »La stanza numero 2«
  2. »Doppia indagine«
  3. »Morte in mare aperto«
  4. »Il biglietto rubato«
  5. »La transazione«
  6. »Come vuole la prassi«
  7. »Un’albicocca«
  8. »Il ladro onesto«

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