Rezension zu »Der ehrliche Dieb« von Andrea Camilleri

Der ehrliche Dieb

von


Kriminalgeschichten · Teil der Serie »Il giovane Montalbano« · Bastei Lübbe · · 320 S. · ISBN 9783785725542
Sprache: de · Herkunft: it

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Zeitreise in Montalbanos junge Jahre

Rezension vom 19.10.2015 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Der neueste »Montalbano« fällt in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen. Der deutsche Titel lässt nicht erkennen, dass es sich nicht etwa um den 23. Band der Montalbano-Krimi­nal­roman­serie handelt, sondern um eine Sammlung von Erzählungen, die an die erfolgreiche italienische TV-Serie »Il giovane Montalbano« (deutsch: »Der junge Montalbano«) anknüpfen [› Übersicht und Rezensionen]. Die ist ein Prequel zu den 26 Roman­ver­filmun­gen mit Luca Zingaretti, die die Italiener seit 1999 erfreuen [› Übersicht und Rezensionen]. Wäh­rend der ersten Staffel ausschließlich ältere Kurz­ge­schich­ten zugrunde lagen, hat Camilleri als Vorlage für die zweite Staffel extra acht »Kurzromane« verfasst – sozusagen das literarische Prequel zu seinen eigenen Romanen. Korrekterweise lautet der italienische Originaltitel »Morte in mare aperto e altre indagini del giovane Montalbano« Andrea Camilleri: »Morte in mare aperto e altre indagini del giovane Montalbano« bei Amazon, und natürlich wurde es im Okto­ber 2014 wieder ein Bestseller aus Camilleris Hausverlag Sellerio in Palermo. Nur elf Monate später strahlte RAI Uno, das italienische Äquivalent zur ARD, die sechs­teilige Verfilmung aus – 5,1 bis 5,6 Millionen Italiener saßen zwischen dem 14.9. und dem 19.10.2015 vor den Bildschirmen (Quote 20,6 bis 23,5%) [› Übersicht] –, und Bastei Lübbe legte die deutsche Aus­gabe in der Übersetzung von Rita Seuß und Walter Kögler vor: »Der ehrliche Dieb: Commissario Montalbano hat ein Herz für kleine Sünder«. Deutlicher als jedes andere seiner Bücher hat der (seit 6. September neunzigjährige) Erfolgsautor und Vielschreiber diesen Titel also von vornherein mit dem Blick auf die internationale multimediale Vermarktung konzipiert. Schreiben, Herausgabe, Verfilmung und Übersetzung müssen perfekt koordiniert worden sein.

So rasend schnell ging es noch nie. Immerhin harren noch drei Montalbano-Romane von 2011 und 2012 ihrer Übersetzung ins Deutsche [› Übersicht], obwohl ihre Film-Versionen (im Frühjahr 2013 auf RAI Uno gesendet) bereits synchronisiert und im Juli/August 2015 auf Servus TV ausgestrahlt wurden. Mit Sicherheit arbeitet Servus TV jetzt an der Syn­chro­nisa­tion der neuen Filme (mit deren Ausstrahlung ich im September 2016, spätestens im April 2017 rechne).

Nun aber zum Buch selbst.

Die acht unterhaltsamen und vielfältigen Geschichten tragen sich an den bekannten Schauplätzen zu und sind mit dem bekannten Personal der Hauptserie bevölkert (Salvo, Fazio, Mimì, Cata­rella, dottor Pas­quano, Livia, Adelina ...). Aber sie alle sind jung, denn wir sind in die Achtziger Jahre zurück gereist.

Der Kommissar ist kein Frischling mehr wie in der ersten TV-Staffel. Zwar führt er seine Ermittlungen immer noch gern mit un­konven­tionel­len Mitteln, schert sich nur bedingt um Richtlinien und sieht gar nicht ein, warum er sein Temperament brem­sen –sollte. Aber sind das nicht genau die Wesensmerkmale, die ihn noch durch die nächsten Jahrzehnte definie­ren und zu unserem geschätzten Helden machen werden? Wir wissen das, er aber nicht. Soll er sich also ruhig ein wenig die Hörner abstoßen.

Eine wider­sprüch­liche Persönlichkeit ist Salvo schon immer. Einerseits aufbrau­send, respektlos, herrisch, andererseits ver­ständ­nis­voll und nachsichtig, ja sogar nach innen gekehrt, auf die Respektierung seines Privatbereichs bedacht. Einerseits rebellisch gegen jede Bevormundung und überhaupt jede Hierarchie, andererseits nicht ganz uneitel in seiner frischen Position als Chef des Kommis­sariats, der keine Un­sicherheit erkennen lassen will (obwohl er sich mancher Schwäche bewusst ist). Einer­seits verfolgt er miese Gesellen ganz unnachgiebig, andererseits hat er keine Skrupel, einen Kriminellen ungeschoren da­vonkommen zu lassen oder gar mit einem zu kooperieren, wenn es der Gerechtigkeit dient, wie er sie defi­niert: weniger an Gesetz, Hierarchie oder Bürokratie als an Menschlichkeit orientiert. Er­staunlich ist im­mer wieder, wie nonchalant er taktiert, geradezu hinterhältige Strategien ausheckt, um Ver­brechern das Handwerk zu legen.

In Salvos Beziehung zu seiner neuen Flamme Livia aus Genua (die er in »San Calorio«, Originaltitel »Ritorno alle origini«, kennengelernt hat [› Rezension]) sehen wir wohl die offen­kundigs­ten Verände­rungen. Sie widmen einander viel Zeit, ihre Liebe ist früh­lings­frisch und nährt große Hoffnungen. Dass un­zählige Miss­ver­ständ­nisse, Gereiztheiten und Ver­pflich­tun­gen sie zermürben werden, dass aus Heirat und Kindern niemals etwas werden wird, das wissen wir, die beiden aber glück­licher­weise nicht. Die Dauer-Fern­ver­lobte-in-spe hält Salvo schon jetzt für viel zu gesetzt. »Du bist ein richtiges Gewohn­heitstier. Und wenn du erst mal alt bist, wirst du von deinen ein­geschlif­fenen Ver­haltens­weisen gar nicht mehr abzubringen sein.«) Was im Kontext bloß ein neckischer Piekser ist, gibt dem Montalbano-Kenner Anlass zum Nachdenken über den »Alten«, der zwar seine eingefahrenen Marotten kultiviert (beim Essen, beim Schwimmen, beim Träumen ...) und doch bei jedem Fall wieder überraschen­de neue Wege geht. Die beiläufigen Anspielungen oder Projektionen erhöhen den Reiz dieses Bandes; un­ser Blick bekommt etwas Diagnostisches: Wir verfolgen gespannt bis amüsiert wie immer den Plot um Verbrechen und ihre Aufklärung, aber wir merken auf, wenn uns Symptome für die zukünftigen »Leiden« der Protagonisten ins Auge springen.

Auch das Land hat sich, wenn man auf den »jungen Montalbano« zurückblickt, gewandelt. Man bezahlt in Lire und muss dabei auch im Alltag mit gewaltigen Beträgen rechnen, ein Attentat auf den Papst Johannes Paul II. erschüttert die Menschen, die Affäre um die Vatikanbank Banco Ambrosiano und den Fi­nanz­jongleur Michele Sindonabeherrscht die Schlagzeilen. Besser waren die alten Zeiten also nicht. Des­halb sind die Fälle, mit denen sich der commissario herumschlagen muss, prinzipiell immer die gleichen: Be­ziehungs­ange­legen­heiten, Ent­füh­run­gen, Er­pres­sung, Raub, Gewalt­taten, Dro­gen­handel, Bau­speku­lation, Mäd­chen­handel, Pro­stitu­tion – und dahinter stecken oft genug die Mafia-Clans Sinagra und Cuffaro.

Selbst wenn dieser Erzählband auffälliger als andere aus kommerziellen Erwägungen geboren wurde, so ist das Konzept doch literarisch stimmig und reizvoll. Camilleri hat Salvo Montalbano über zwei Jahrzehnte gut gepflegt. Er ist zu einer nuancenreichen, wider­sprüch­lichen und starken Persönlichkeit gereift; deutli­che Narben zeugen von den Aus­einan­der­setzun­gen, die seine dienstliche und private Biografie geprägt ha­ben. Da lohnt sich die Rückschau: Wie hat das alles begonnen? Und Camilleri ist ein Schriftsteller, der auch sehr lange Fäden perfekt zusammenhalten kann.

Näheres zu den Kriminalfällen der acht Geschichten erfahren Sie unter den folgenden Links:

  1. »Zimmer Nummer zwei«
  2. »Parallele Ermittlungen«
  3. »Tod auf dem offenen Meer«
  4. »Die gestohlene Karte«
  5. »Die gütliche Einigung«
  6. »Gängiger Praxis entsprechend«
  7. »Eine Aprikose«
  8. »Der ehrliche Dieb«

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